1. Tag: Montag, der 30. Juli 2012

Dienstag, den 31. Juli 2012

Unter sibirischer Sonne

Ankunft in Irkutsk, Räder schrauben und langer Stadtspaziergang, 7 km mit dem Rad ins Zentrum, sonnig bei 25 Grad

Wie schon in St. Petersburg strahlt die Sonne morgens um 8 Uhr in Irkutsk, aber es ist nicht glühend heiß, sondern angenehm frisch. Ich bin der erste unserer kleinen Gruppe und alle Flüge sind verspätet, letztlich gut für uns, denn so liegen die Ankünfte nicht so weit auseinander. Nachdem ich mein Rad ausgepackt und zusammengeschraubt habe, kommt dann eine Stunde später schon Michael aus der Schweiz, auch sein Rad kommt heil an und wir schrauben schnell. Ebenso wieder eine Stunde später stößt Dorothea zu uns und nur wenig später sind wir mit Martina und Wolfgang komplett. Die beiden nehmen dann unseren Minibus ins Hotel, wir anderen radeln schon mal die 7 km ins Zentrum, die Straßen sind nicht zu belebt, doch der verkehr rollt recht straff und zügig. Vorbei geht es an kleinen Holzhäusern in das klassizistische Zentrum.

Das Hotel „Angara“ liegt mehr als zentral, ist aber ein alter Sowjetbau. Glücklicherweise sind die Zimmer seit letztem Jahr renovier worden und die sowjetischen Hängebauchbetten sind ersetzt worden, letztes Jahr hatte ich darin kaum ein Auge zugetan. Doch jetzt sieht es recht angenehm aus, doch um etwas zu meckern, die Duscharmatur ist, wie so oft in Asien falsch belegt und es gibt nur eine einzige Steckdose und die ist weit vom Schreibtisch entfernt.

Aber wir sind ja nicht hier, um europäischen Hotelstandard zu genießen, sondern um Land und Leute kennen zu lernen und so treffen wir uns nach eine Stunde auf einen Kaffee und vertreiben die Müdigkeit und stürzen uns in die sibirische Metropole an der Angara. Für ihre lediglich 700.000 Einwohner macht die Stadt einen recht großen Eindruck, aber es gibt noch viele Stadtteile mit kleinen, niedrigen Holzhäusern. Im 17. Jahrhundert wurde die Stadt von Kosaken gegründet und ist ein Schmelzpunkt der Kulturen. Mit dem Bau der Transsibirischen Eisenbahn und der Transsibirischen Traktes kamen die Russen zu den Kosaken. Auch die Nähe zur Republik Burjatien ist zu spüren und als Angelpunkt des russisch-chinesischen Handels mit Pelzen, Diamanten, Gold, Holz und Seide entwickelte sich die Stadt prächtig, auch Dank der Verbannungen durch den Zaren, mit denen intellektuelle Köpfe ins hinterste Sibirien gespült wurden.

Im Zentrum dominieren schöne Bauten aus dem späten 19. Jahrhundert, die sich mit netten Parks abwechseln. Gleich dem Hotel gegenüber gibt es mehrere Halfpipes, wo sich die größeren Kids und Jugendlichen zum Skateboarden und BMXen treffen und erstaunlich Kunststückchen vorführen, um den Mädels zu imponieren. Auch Lenin begegnet uns in den Parks zwei Mal und dann sind wir schon am Rande des Zentrums, wo die Holzhäuser beginnen. Die sind in recht unterschiedlichem Zustand. Einige der schönen Bauwerke aus dicken Holzstämme, die man in ganz Sibirien trifft, sind neu hergerichtet, aber vieles sieht sehr verfallen aus und einiges steht am Rande des Zusammenbruchs. Eine Englischlehrerin, die eigentlich aus Armenien stammt, erzählt uns, dass die Gebäude hier im Viertel alle so um die 100 Jahre alt seien, inzwischen hat man auch Wasserleitungen in die Höfe gelegt und im Winter wird elektrisch geheizt, was natürlich sehr teuer sei. Die Häuser dürften nicht abgerissen werden, aber die meisten Familien haben kein Geld für eine professionelle Renovierung der schönen Bauten und so verfallen die schönen Verzierungen um die Fenster und am Dach. Von dem Viertel, das ein wenig höher liegt, hat man einen schönen Überblick und es wehrt ein kühles Lüftchen in der sibirischen Sonne. Hoffentlich haben wir das schlecht Wetter in Deutschland zurück gelassen und können nun die zweite Hälfte des Sommers genießen.

Hinter dem Viertel gibt es einen riesigen „Chinamarkt“ mit reihenweise Blechbuden. Dort kann man die schöne neue Plastik- und Textilwelt zu kaufen, die Buden werden hauptsächlich von Chinesen aus dem Norden betrieben, alle Leute, die ich anspreche sind aus der Gegen um Ha’erbin. Dazwischen aber auch Händler aus den ehemaligen turkstämmigen Sowjetrepubliken. Durch die Marktstraßen nähern wir uns wieder dem Zentrum mit seinem alten Markt. In einer riesigen Halle gibt es dann alles an Lebensmitteln, was die Region und das Land hergibt. Fische aus dem Baikal in allen Varianten, Käse, Fleisch und Gemüse. Hier wollen wir dann morgen noch einmal her und etwas für ein Picknick an der Angara besorgen.

Jetzt treibt uns dann aber der Hunger doch in ein Restaurant in der Karl Marx Straße, denn bei aeroflot gab es im Flieger heute Morgen natürlich kein Frühstück. Die Preise in dem Lokal sind recht hoch, wie in Deutschland, und alles ist recht fleischlastig, aber lecker, wie der Omulfisch, die Nudeln oder die Suppen.

Danach bleibt uns nur noch zurück ins Hotel zu schlendern und nachdem ich letzte Nacht im Flieger nicht schlafen konnte brauche ich nicht einmal 5 Minuten, bis ich in dem zu warmen Zimmer eingeschlafen bin. Schön ist es wieder auf Reisen zu sein und wir haben den ersten Tag schon gut genutzt und haben eine interessante Runde durch die Stadt gedreht.

 

Tag 0: Sonntag, der 29. Juli 2012

Dienstag, den 31. Juli 2012

„Leto bes Letu“ (Sommer ohne Sommer)

Langer Weg von Berlin über Sankt Petersburg nach Sibirien, Berlin in strömendem Regen, St. Peterburg sonnig mit 32 Grad und in Irkutsk soll es morgendlich frisch 12 Grad sein

Grau hängen die dunklen Wolken über Berlin und meine Wohnung übergebe ich fast schon steril sauber an meine Untermieter. Also nichts wie weg hier. In der Nacht habe ich noch bis morgens am Computer gesessen, ich will im Flieger richtig müde sein, sonst kann ich nicht schlafen.

Kurz bevor mein Taxi zum Flughafen kommt, öffnet der Himmel alle Schleusen und es regnet mehr als in Strömen. Da ich wieder einmal nur die Sandalen an den Füßen und keine weiteren Schuhe im Gepäck habe macht mir das knöcheltiefe Wasser nichts; wenn es noch einen Tag so weiter gießt, sieht es aus wie in Beijing vor zwei Wochen, Land unter und man muss in der Badewanne zum Supermarkt rudern.

Gegen 9 Uhr bin dann am Provinzflughafen für das Dorf Berlin, ich hatte eigentlich vorgehabt meine Taschen noch einmal in Plastikfolie einwickeln zu lassen, aber so etwas gibt es nur in zivilisierten Ländern, wie in China zum Beispiel, ebenso wie logistisch einigermaßen funktionierende Flughäfen. Vorgestern sprach ich mit Christoph von China-by-Bike noch über den neuen Flughafen von Kunming, der ist von der Idee über die Planung bis zur pünktlichen (!) Eröffnung in nicht einmal drei Jahren aus dem Boden gestampft worden. Hätte man dort die Eröffnung wegen technischer Probleme, sagen wir mal um zwei Wochen, verschieben müssen, dann wären einige Funktionäre abgesägt worden, bei einer Verschiebung von einem Jahr, hätte der amtierende Bürgermeister die Einweihung aus der Gemeinschaftsbaracke eines Arbeitlagers die Feier verfolgen dürfen; aber Berlin ist eben nicht China- zur Orientierung: Kunming ist eine mittlere Großstadt im Süden von China mit 5 Millionen Einwohnern.

Die drei Mädels am Eincheckschalter stehen unter der Diktatur einer „Svetlana“, die mit haarigen Zähnen die drei Schalter überwacht. Aus der Schlange heraus kann man schön beobachten, wie die Leute mit Übergepäck ordentlich abgezogen werden, ein armer kleiner Japaner darf seinen Koffer noch mal umschichten, vor den Augen aller Umstehenden. Dann bin ich an der Reihe und Svetlana will mir nicht glauben, dass mein Fahrrad nur 15 kg wiegt, irgendwie muss ich dann mein Rad noch auf das Förderband stellen und die Waage zeigt…..schlaffe 11 kg an. Mein Restgepäck wiegt auch noch mal 15 kg, also bin ich im Limit von 30 Kilogramm. Tja, Svetlana, in Physik nicht aufgepasst, hatte meine Tasche noch so gestellt, dass der Fahrradkarton mit einer Ecke noch drauf steht. Aber nicht ärgern, es wären eh nur drei oder vier Kilo drüber gewesen und so dünn wie ich bin, habe ich da nicht einmal ein schlechtes Gewissen. Aber das Svetlana dann wegen der ganzen Aufregung vergessen hat die 50 € fürs Rad zu kassieren, das ist schon peinlich.

Dafür ist ja auch der Service lausig, es gibt nur Wasser an Bord, kein Bier, keine Cola, keine Fanta und dazu ein lausiges Sandwich.

Auch die Russen in Berlin sind nicht zufrieden mit dem Wetter in Berlin, „Leto bes Letu“ („Sommer ohne Sommer“) titelt die Berliner Zeitschrift für Exilrussen, trozdem gibt es in der Zeitung leckere Rezepte für kalte Suppen an heißen Tagen, die Hoffnung ertrinkt zuletzt. Die Suppen interessieren mich aber trotzdem und ich denke ich werde in Russland dann noch ein paar kalte Suppen probieren und dann gibt’s auf meinem Tomtomtofu Blog dazu einen „leckeren“ Bericht.

Drei Stunden später in St. Petersburg ist mir dann bei 32 und strahlender Sonne nach einer kalten Suppe zumute. Der zu klein geratene Flughafen ist eine Baustelle und es ist mehr als hart sich mit dem Wagen und dem Rad drauf durchs dichte Gedränge zu wühlen. Leider kann ich nicht gleich wieder einchecken, und muss fast 5 Stunden mit den Sachen zubringen in dem übervollen Flughafen. Zwei Stunden döse ich dann draußen und noch einmal zwei Stunden verbringe ich im „Planet Sushi“ bei nur mäßigen Rollen. Dann geht es wieder durchs Gedränge und die schwitzenden Massen, aber das Einchecken geht völlig reibungslos, es gibt hier wohl keine „Svetlana“. Um 20.30 steigen die Fluggäste dann vom Airport-Shuttle in die Maschine und stehen zwischendrin im Sturm. Etwas 100 Meter weiter steht ein anderer Flieger mit dem „Hintern“ zu uns und gibt ordentlich Schub, dass die Basecaps nur so fliegen.

In der Nacht geht es dann über Sibirien hinweg, richtig dunkel wird es nicht, so weit nördlich zieht die Maschine über die unendlichen Weiten, die wir im letzten Jahr noch durchradelt haben……ich erinnere mich dann wieder an Moskitos, Wodka, Pferdebremsen, unendlich lange und gerade Straßen, staubige Pisten und lausige Hotelzimmer und dann zieht es mir doch die Augen zu.

Dienstag, der 13. Dezember 2011

Dienstag, den 13. Dezember 2011

Verkaterter Russischer Bär

Russland- das klingt wie Abenteuer, Wodka, und Kaviar. Russland, das war früher die Inkarnation des Bösen für die einen, der angeheiratete „Große Bruder“ für die anderen. „Von der Sowjetunion lernen, heißt: Siegen lernen!“ lernte ich damals noch in der Schule neben einem soliden Grundwortschatz an nützlichen und unnützen Vokabeln.

Vor 20 Jahren zerbröselte dann das Riesenreich in seine Bestandteile und versuchte seinen neuen Platz in der Weltgeschichte einzunehmen. Damals war ich schon einmal mit dem Fahrrad sechs Monate im Land und konnte 1992 den Verfall in sechs Monaten studieren, der Rubel stürzte von April bis September von 1: 30 auf 1: 500. und es war nichts wie es mal war. Die Menschen nahmen es gelassen, es war eine Reise damals von einer Einladung zur anderen, Aufbruchstimmung war zu spüren, wie überall in Osteuropa.

Wo das Land jetzt angekommen ist, das wollte ich mir mit eigenen Augen ansehen und nicht aus dem Touristenbus auf dem holprigen Asphalt zwischen Nowgorod, Petersburg und Moskau oder hinter den Scheiben der Transsibirischen Eisenbahn, in der der klassische grusinische Schwarztee durch die gleichen Teebeutel ersetzt wurde, die wir auch in unserem Supermarkt um die Ecke finden.

Also habe ich wieder drei Monate das Land mit dem Fahrrad bereist. Aus dem Baltikum kommend, ging es über die Hansestädte Pskow und Novgorod bis nach Moskau. Von dort führte dann mein Weg nach Osten über Kasan bis zum Ural und nach Jekatarienburg; weiter über den europäischen Tellerrand hinaus über Omsk und Novosibirsk nach Irkutsk an den fernen Baikalksee und schließlich über Burjatien in die Mongolei.

Die großen historischen Städte wollte und habe ich gesehen, vor allem aber interessierte mich das Leben in Dörfern und Kleinstädten und das wollte ich mit der Kamera festhalten. Die Erlebnisse und Eindrücke sind umwerfend in einem Land, das zerrissen von Widersprüchen ist, die größer nicht sein können. Stagnation und Verfall, das waren die ersten Eindrücke, noch ganz im Westen und das hat sich fortgesetzt bis ins tiefste Sibirien.

Während Moskau die wohl weltweit größte Dichte an luxuriösen Geländewagen der Marke „Hummer“ hat, hängt der Rest des Landes an der Wodkaflasche. Das Straßennetz ist mehr als morbide, die Hauptverbindung von Europa nach Moskau ist eine Piste aus Löchern mit Asphaltresten, so als fürchte man immer noch den Einfall faschistischer Horden, denen man den Zugang zur Hauptstadt unmöglich machen will. Die Dörfer, um 30 % entsiedelt, verfallen, die schönen alten Holzhäuser, straßenzugweise. Die Leute leben autark von ihren Kartoffeln und dem Gemüse aus dem Garten und auf dem Markt verkaufen alte Männer und Frauen einen halben Eimer Kartoffeln, zwei Bund Zwiebeln und drei Stück Rote Beete, es muss halt nur für den Wodka am Abend reichen. Ein alter Mann in Jekatarienburg sagt mir: „Euch geht es gut in Deutschland, dabei haben wir Russen den Krieg gewonnen und ihr habt ihn verloren!“ Die Stimme klingt nicht nach Hass, nur nach Verbitterung und depressiver Traurigkeit. Man ruht sich immer noch aus, auf dieser großen vaterländischen Leistung: „Niemals und nichts vergessen!“ springt dem Resisenden landesweit von Plakaten entgegen, die Soldatenfriedhöfe sind jedoch ungepflegt und verwildert. Dafür findet man überall noch Lenin, in jedem Dorf und jeder Stadt gibt es noch eine Statue in der Leninstraße oder auf dem Leninplatz. Das Mausoleum ist immer noch eine Attraktion auf dem Roten Platz. Wachsbleich ruht der Oktoberrevolutionär wie Schneewittchen in seinem Glassarg, die Ordnungskräfte, die den Eingang regulieren sind rüde und unfreundlich und ranzen mich an: „Im Mausoleum sei fotografieren verboten!“ Mein Einwand, dass wir uns immer noch weit vor dem Mausoleum auf dem Roten Platz befänden, wird weggewischt und die uniformierte Matrone überprüft die Löschung des Bildes, auf der sie die Zigarrette im Mund hatte während sie das Gepäck eines Touristen durchwühlte. „Lenin lebt“ – nach dem Rundgang an der Kremelmauer begegnet mit der Genosse und schüttelt mir die Hand für 10 Rubel, Foto ausdrücklich genehmigt!

Je weiter weg von der Hauptstadt, um so größer wird der Kult. Die Hauptattraktion der Stadt Ulan-Ude im fernen Burjatien ist immer noch der größte Leninschädel der Welt. Stalins grab findet man an der Kremelmauer, nicht weit Juri Gagarin entfernt und im fernen Sibirien in einer schäbigen Stadt namens Ischim findet sich auch noch eines der letzten Stalindenkmale im Lande. Man wünscht sich schon wieder einen großen Führer und jemandem der der Welt zeigt, was die Russen wirklich können und was für tolle Burschen sie doch alle sind. Die Welt lacht über Putin mit freiem Oberkörper beim Angeln oder beim Erlegen eines Tigers.

Radfahren in Russland ist ein Abenteuer, aber anders als erwartet. Wirklich aufgeschlossene Begegnungen sind selten, das war vor 20 Jahren noch anders, immer wieder wurde ich damals fast von der Straße wegefangen und eingeladen, das passiert uns heute kaum noch. Manchmal hält ein Lada und die Besatzung springt heraus und glaubt einfach nicht, dass wir in Berlin losgefahren sind und noch weniger, dass wir bis nach Peking wollen. Die Wodkaflasche wird gezückt und die Becher machen die Runde, halbvoll und runter und dann noch einmal, diesmal mit dem Fahrer und es waren nicht seine ersten „sto gramm“ heute.

Stagnation ist das prägende Bild, Winterschlaf mitten im Hochsommer. Wer noch Arbeit hat, dödelt vor sich hin, Pfusch und Schlamperei. Keine Baustelle, die ordentlich vollendet wird. Noch vor Einzug bröckelt der Putz. Der „Service“ in Hotels, Läden und Restaurants ist mürrisch und müde, alte Sowjetmentalität ist noch lange nicht ausgerottet, sondern wieder im Erwachen. In winzigen Städten kostet ein schrottiges Hotelzimmer 45 €, das noch nicht einmal Jugendherbergsstandard hat, warmes Wasser gibt es nicht. Im Sommer, da werden immer die Leitungen repariert…oder wohl eher nicht.

Bis zum Ural sieht es dann etwas besser aus, hier stehen die Industriezentren des Landes, hier wird noch produziert und den Menschen geht es besser. In Jekatarienburg tobte der Bauboom, allerdings ist der seit ein paar Jahren zum Erliegen gekommen und Ruinen nicht vollendeter Geschäftsbauten und ein halbfertiger Fernsehturm prägen das Stadtbild. Hinter dem Ural beginnt eben das Freilichtmuseum des zerfallenen Sozialismus. 60 % Arbeitslosigkeit kompensiert durch 42%igen Wodka. Das einstmals vorbildliche Gesundheitswesen existiert nicht mehr. Wer nicht zahlt, bekommt keine Hilfe. Warum also ins Krankenhaus, wenn man sich die Seele vorher aus dem Leib saufen kann. „Eigentlich sind alle kriminell“ jammert der Poizist, der mir den Weg zu einer Herberge in einem größeren Dorf zeigt. „Aber was sollen die jungen Leute tun, Jobs gibt es nicht und Geld braucht man für Benzin und Wodka, und in den Städten kommen die Drogen noch dazu!“

Genauso museumsreif wie die zerfallenden Holzhäuser ist der Fahrzeugpark, Lada heißt der hier bevorzugte Fahrzeugtyp, gefolgt vom „Rost-quietsch“, Moskwitsch, ab und an ein Wolga. Die Modelle haben oft mehr Jahre auf dem Buckel als die Fahrer, aber der Wagen, der rollt. Und noch zu schnell, die Straßen sind gesäumt von Gräbern, die „Opfer“ meist nicht über 30. Die Landschaften sind unendlich in allen Beziehungen, unendliche Weite, unendliche Birkenwälder, unendliche Hügel, unendliche Straßen vom Ural bis zum Baikalsee.

Manchmal ist es schwer ein Restaurant oder einen Imbiss zu finden, doch es gibt überall kleine Kioske, die neben einem mehr als weiten Sortiment an Wodka auch Lebensmittel verkaufen. Meist sind sie gesichert wie eine Bank. Dicke Gitter trennen Ware und Verkäufer vom Kunden, bestellt und bezahlt wird durch ein kleines Loch darin. In den Supermärkten patroullieren Sicherheitsleute.

Kaum ein Auto parkt in den kleinen Städten einfach auf der Straße vor dem Haus, dafür gibt es spezielle „Stojankas“ Abstellflächen, diese sind kostenpflichtig und mit Zaun, Wachpersonal und Hunden gesichert.

Großer Baikal, wie habe ich darauf gewartet an deinem Ufer zu stehen, von Irkutsk noch einmal 75 bergige Kilometer bis an das größte Süßwasserreservoir der Welt. Doch dann in Listwijanka, ein 2 Meter breiter Strand, überall Müll und leere Flaschen, Bauruinen. Am Wochenende fallen die Irkutsker ein, man kommt nicht mehr über die Straße und alle fahren mit dem Auto bis direkt ans Wasser, breiten daneben eine karierte Decke aus und hinterlassen Müll, den keiner wegräumt. Die Luft ist rauchgeschwängert vom Qualm der Räucherkästen. Der Omul wird überall geräuchert, verkauft und gegessen. Ein leckeres Fischchen, eigentlich dürfen nur große Fische gefangen werden, doch das Mindestmaß von 35 cm hat kaum einer von den Tieren, die hier auf dem Grill brutzeln.

Das Wasser im See scheint aber klar und sauber zu sein, auch wenn im Januar ein Gesetz ausgelaufen ist, welches die Einleitung von Idustrieabwässern in den See für zwei Jahre verboten hatte, jetzt dürfen die Zellulosefabriken ihren Dreck wieder fast ungefiltert einleiten. Es ist wie überall in Russland, die scheinbare Unendlichkeit liegt über allem, wen stören die wilden Müllkippen, wenn danach 50 Kilometer nur Wald, Wald und Birken folgen.

Es war ein Erlebnis in Russland Rad zu fahren, der Verkehr war rauh, aber nicht so hart wie erwartet, die LKW schwarten meist dicht am Radler vorbei, man ist aber nicht aggressiv, es fehlt einfach an Radfahrern, als das man den Umgang mit dieser Spezies gewohnt sein könnte. Es war ein Erlebnis in Russland den Zerfall zu sehen, den Pessimismus und die Satgnation, Städte so grau wie zu Zeiten des Kalten Krieges; im Nachbarland, der Mongolei geht es dagegen aufwärts und China ist ein Kulturschock im positiven Sinne, aber das ist eine andere Geschichte.

Zurück in Berlin blickt man auf den Nachrichtenticker über die Wahlen, es hat sich Nichts geändert in Russland, Putin hat sich wieder an die Macht geschaukelt, Vorwürfe der Wahlfälschung gibt es, Proteste werden aufgelöst, das Internet wird zensiert. Die Wahlbeteiligung war so gering wie nie, mich wundert es nicht und auch der einfache Mann erwartet nichts mehr als seine Flasche Wodka.

Oder vielleicht hat sich doch etwas geändert, wir werden es in den nächsten Wochen sehen, was aus den beginnenden Protesten wird, ob der Russische Bär aus dem Winterschlaf erwacht oder sich nur träge auf die andere Seite wälzt.

Meine Fotos habe ich in Schwarz-Weiß gehalten, weil es die Stimmung im Land besser wiedergibt. Grau und schwermütig wie das Land selbst, könnten sie ebenso aus den 60er Jahren stammen.

 

111. Tag: Donnerstag, der 4. August 2011

Donnerstag, den 4. August 2011

Bergiger Abschied von Sibirien und Russland

128 Kilometer von Gusinoosersk nach Kjachta, 1300 heftige Höhenmeter bei grandiosem Wetter bis 26 Grad, herrliche weite Grassteppen

Am Morgen bestätigt sich noch einmal der Eindruck, den wir von Gusinoosersk bekommen haben. Einzelne der sozialistischen Plattenbauten stehen leer und verstärken die Ödnis der abgewrackten und noch bewohnten Bauten. Die Straßen im ganzen Ort sind eine Katastrophe, was die Dorfjugend nicht davon abhält mit ihren alten Ladas wie bescheuert durch die Schlaglöcher zu rasen. Vor einem Wohnsilo weidet eine Herde Pferde. Und vor dem Ort gibt es riesige Datschensiedlungen, von denen keine einzige mehr bewirtschaftet wird, alle Hütten und Bungalows sind Ruinen und dazwischen Ödland und überall dahinter das Kraftwerk, das einstmals Wohlstand in das Nest gebracht hatte.

Gleich von Beginn an geht es gut bergig zur Sache und wir klettern gleich auf über 800 Meter Höhe, dann biegt die Straße etwas nach links und wir verabschieden uns von der Selenga und erreichen einen kleinen Pass und eigentlich ein anderes Land. Die Landschaft öffnet sich und vor uns liegen weite grüne Hügel, manchmal ein paar Kiefernwälder und man kann in aller Richtungen fast unendlich weit blicken, überall grüne Weiden und Weiten. Wir haben mit dem Pass landschaftlich Sibirien verlassen und die Waldsteppen der Mongolei erreicht. Die vereinzelten Stupa am Wegesrand verstärken den Eindruck noch, wir sind nicht mehr in Russland. Die Burjaten sind je mit den Mongolen mehr als verwandt und ich denke selbst ein hier lebender Mensch kann einen Burjaten rein optisch nicht vom Mongolen unterscheiden.

Unser Bus ist heute ein Krankenlager, gleich fünf Leute haben sich auf die Plätze verabschiedet und dösen vor sich hin. Ich muss wieder gleich sagen, dass sich zu Hause niemand um niemanden Sorgen machen braucht, alle sind wieder wohlauf!!! Wir haben gerätselt, warum es gleich fünf Leuten auf den Magen-Darm Trakt geschlagen hat und haben die Teigtaschen von gestern in Verdacht, obwohl zwei oder drei Leute mehr, inklusive mir, davon gegessen hatten.

Die anderen genießen das Sommerwetter in vollen Zügen,es ist warm, fast heiß und wenn der nächste der vielen Hügel und Berge naht, fast schon wieder zu heiß. Julia macht dann auf halber Strecke den Fehler und erklärt, dass nur noch zwei Berge kommen, aber ich habe meine Zweifel, die Landschaft gibt das einfach nicht her. Aber wir sind ja einiges gewohnt und kämpfen uns gemütlich den nächsten und den nächsten und den nächsten Anstieg empor. Die Belohnung erfolgt dann immer mit einer grandiosen Abfahrt in die Weite.

Am letzten Anstieg, also dem wirklich letzten setzt sich Julia auch noch einmal mit auf Rad und kommt recht schnell ins Schwitzen, vielleicht will sie ja im nächsten Jahr die Tibet Tour mitfahren, aber bis dahin muss sie noch ein wenig trainieren.

Wieder relativ spät erreichen wir dann Kjachta den Grenzort. Dort ist massiv viel Militär stationiert, riesige Kasernengelände gibt es am Stadtrand und einen riesigen Parkplatz mit T72 Panzern, aber heute traue ich mich nicht, ein Foto zu machen. Die Armee sei hier gegen die Chinesen und nicht gegen die Mongolen und wir machen Witze, dass die Chinesen sowieso eher auf ökonomischen Weg ihre Ziele durchsetzen und wenn sie schon militärisch hier eingreifen würden, wohl auch mit modernerer Technik anrücken würden.

Das Hotel ist in Ordnung und wir alle stürzen schnell unter die Duschen und dann zum Abendbrot ins einzige Lokal direkt an der mongolischen Grenze. Dort plündern wir sämtliche Bestände an vorhandenen Lebensmitteln und sagen uns für den nächsten Morgen wieder an. Dann geht die Verabschiedungsreihe los, die letzte Nacht in Russland ist angebrochen und wir sagen Auf Wiedersehen zu Julia, der Chefin von Baikal-Holiday, es war sehr schön hier in der Baikal Region und in Burjatien und es hat uns allen außerordentlich gefallen.Auch von Pawel, unserem Busfahrer, verabschieden wir uns und intonieren gleich noch ein Liedchen. Dann fahren die beiden wieder zurück nach Ulan-Ude und wir verschwinden in unseren Betten.

110. Tag: Mittwoch, der 3. August 2011

Mittwoch, den 3. August 2011

Tantrischer Buddhismus und elektrische Tristesse

107 Kilometer von Ulan Ude nach Gusinoosersk, warme 25 Grad, angenehme 364 Höhenmeter, Besichtigung des buddhistischen Tempels in Iwolginski

Die Nacht war der reinste Horror, unter meinem Zimmer hämmerte die Techno-Mucke bis 5.30 Uhr, meine Freundin und ich haben keine Auge zu getan. Ich habe die Dame an der Rezeption vollgenölt, sie sagt, dass der Rum vermietet worden sei für die Nacht und das in einem Vier Sterne Hotel, tagsüber fährt die Straßenbahn faktisch durch Hotelzimmer, es fühlt sich a, wie ein Erdebeben der Stärke 4. Es wird wirklich zeit, dass wir wieder in zivilisierte Länder kommen.

Meine Freundin düst heute wieder nach Hause und muss dort weiter 3 Monate auf mich warten. Ich bin also nicht nur müde, sondern auch ein bisschen traurig, aber das vergeht auf dem Fahrrad recht schnell. noch einmal geht es am „burjatischen Lenin“ vorbei und dann heraus aus der Stadt.

Nach knapp 2 Stunden erreichen wir Iwolginki. Dort gibt es ein großes buddhistisches Kloster, die größte buddhistische Tempelanlage in Russland. Die Burjaten sind Anhänger des Vajrayana Buddhismus, des tantrischen Buddhismus, den es auch in Tibet gibt. Das erklärt auch das große „Om Mani Patme Hum“ Mantra auf einem Berge vor Ulan Ude. Wir brauchen knappe zwei Stunden, um uns hier satt zu sehen, denn es ist der erste Tempel auf unserer Reise. Auf einem Rundweg geht es im Uhrzeigersinn durch die Anlage und vorbei an Gebetsmühlen und den Wohnhütten der Mönche. Die Anlage ist noch recht neu, denn während der Sowjetzeiten war das Kloster geschlossen und wurde erst in den 90er Jahren wieder eröffnet. Dann kommen wir an kleinen schönen weißen Stupa vorbei und besichtigen die Tempel, die hier hauptsächlich Tara gewidmet sind, die ich in einer anderen Inkarnation aus Südchina als Guanyin, die „Göttin“ der Barmherzigkeit kenne und die einige der wenigen weiblichen Inkarnationen eines Boddhisattvas ist.

Wir freuen uns auch über die vielen „neuen“ Gesichter, denn zahlreiche Burjaten kommen zum Pilgern hierher und drehen ebenso ihre Runde, die streng gläubigen für jedes Lebensjahr eine. Bei dem Alter einiger unserer wackeren Truppe wären wir wohl hier eine ziemlich lange Weile beschäftigt.

Als wir dann wieder auf den Rädern sitzen steht die Sonne im Zenit und ballert ordentlich. Zum Glück bleiben uns heute länger Anstiege erspart, es geht immer im weiten Tal der Selenga entlang und die Landschaft ist sehr schön. Es gibt nicht mehr viel an Orten rundherum und wir sind froh, als wir gegen 14 Uhr eine Raststätte erreichen. Vorher gab es gerade einmal zwei oder drei Ortschaften, die auch nicht direkt an der Straße, sondern auch noch links oder rechts ein paar hundert Meter entfernt. Viel Verkehr gab es nicht auf der Straße und auch die Raststätte ist mit der Gruppe fast überlastet und wir plündern fast die gesamten Vorräte an Salat und Teigtaschen mit Hammelfüllung. Auch in der Suppe ist Schaffleisch, es geht also auch kulinarisch schon eher mongolisch zu.

Der Ausflug in den buddhistischen Tempel hat jede menge Zeit gekostet und so wird es recht spät, als wir in Gusinoosersk einziehen. Das Nest ist eine regelrechte Einöde. Einstmals gab es in der Umgebung viel Braunkohle, von denen heute noch ein paar Tagebaue zeugen und ein riesiges Wärmekraftwerk. Dadurch hat sich die Stadt entwickelt und große Wohnviertel mit Plattenbauten entstanden. Heute wirkt alles verwahrlost, viele Gebäude stehen leer, der Straßenbelag ist katastrophal und wir sind der einhelligen Meinung, dass hier ein prima Ort für die Verbannung wäre: Ödnis am Ende der Welt.

Am Abend haben wir ein leckeres Abendessen direkt im Hotel, in dem es nur eine warme Gemeinschaftsdusche gibt. Die meisten haben deshalb auf eine heiße Dusche verzichtet. Auch haben zwei meiner Reisenden ein wenig Darmprobleme und keinen großen Appetit

Nach dem Essen sitzen wir noch bis nach Mitternacht und diskutieren mit Julia, der Chefin des lokalen Reisebüros, wir das Land zu entwickeln sei. Einige meinen man müsse nur genügend Investitionsbedingungen schaffen und es würde hier recht gut laufen. Julia und ich diskutieren massiv dagegen, hier hat niemand Geld für irgendetwas, wer Initiative besitzt geht weg und alle anderen sind Alkoholiker. Es hat hier niemand Interesse an Entwicklung, die alte sowjetische Mentalität sitzt einfach noch zu tief. Prost!