64. Tag: Samstag, der 18. Juni 2011

18. Juni 2011

Tjumen im Schnee

61 Kilometer von Tugulym nach Tjumen, 52 hm, Wolken und Sonne bis 22 Grad

Die Nacht in den Schlafkojen war schrecklich. Am Morgen sind es knappe 28 Grad in dem winzigen fensterlosen Raum und wir haben die Abdrücke der Spiralfedern im Rücken. Bei jeder winzigen Bewegung haben die Betten gequietscht und geknarrt.

Eine Art Frühstücksmenü gibt es im Bistro unten nicht, also bleibt nur eine ölige Soljanka und eine Tasse lauwarmer 3 in 1 Kaffee. Warum man dazu einen usbekischen Koch anstellen muss, ist mir unklar. Aber die „Schwarzen“, wie sie manchmal von den Russen genannt werden machen hier oft die schlecht bezahlten einfachen arbeiten. So wie auch die Frau des Koches, die den ganzen tag mit Putzen und Wischen und Müll wegbringen beschäftigt ist. Als wir das Motel verlassen liegt sie todmüde im Nachbarzimmer, das die LKW Fahrer irgendwann gegen 5 Uhr verlassen haben. Als sie uns hört springt sie sofort auf und greift sich wieder den Putzlumpen.

Bis nach Tjumen ist es nicht weit und es geht immer den Highway E 22 entlang ereignislos in die Stadt. In den Neubau-Außenbezirken ist wieder viel Verkehr, der über die traditionell schlecht asphaltierten Stadteinfahrten holpert. Ein Hotel ist schnell gefunden, auch nachdem uns zwei Läden nicht wollten, zu viel Ärger wegen der Registrierung. Das ist ein Vordruck, der von den Hotels theoretisch in jeder Stadt ausgefüllt werden muss. Diesen bekommt der Tourist bei Abreise und muss ihn mit rumschleppen. In jedem Hotel werden penibel die Daten aus dem Pass und den vorangegangen Registrierungen in ein neues Dokument eingetragen. Ich denke, wenn wir am Baikal angekommen sind, werden wir so an die 20 dieser Scheinchen bei uns haben und die Hoteldamen eine Weile mit dem Papierkrieg beschäftigt sein….oder uns gar nicht mehr nehmen wollen.

Es ist erst früher Nachmittag, also holen wir erst noch ein wenig Schlaf nach, dann machen wir noch einen Spaziergang durch das nichts-sagende Zentrum. Zu Sowjetzeiten wurde eine breite Allee angelegt, an deren einer Seite ein Park und ein Friedhof liegt. Auf der anderen Seite ein Glaspalast einer Ölfirma und ein Straßenzug mit ein paar Läden, dahinter beginnen dann gleich die Viertel mit den Wohnsilos.

Die Platanen blühen und es herrscht dichtes „Schneetreiben“. Überall hängen die weißen Fusseln in der Luft und bilden an manchen Stellen große, weiße Teppiche. Ein Paradies für Allergiker.

Am Park entlang wurde eine Art Ausstellung russischer Orden, aus Pappe und Gips in „Lebensgröße“, Anlass für ein paar nette Fotos. Jacky und Gerhard postieren vor den sich vereinigenden Proletariern aller Länder, Barbara erntet den Ruhm, Mirjam posiert mit zwei Sodaten vor Lenin und ich vor dem Siegesabzeichen.

Ein Restaurant zu finden ist gar nicht so einfach, in der wir mittags gegessen haben, wollen wir nicht noch einmal, eine Bar auf der Hauptstraße hat gnadenlos überhöhte Preise und die Stolowaja, in der wir dann enden ist einfach nur schlecht mit lauwarmen Gerichten aus der Mikrowelle.

Am Abend gibt es dann sogar nicht nur Wasser im Hotel, sondern dieses ist auch noch warm, die Damen an der Rezeption sind sehr nett und helfen uns unser morgiges kleines Programm zusammen zu stellen und auch das Internet kann ich nun zum Laufen bringen.

63. Tag: Freitag, der 17. Juni 2011

17. Juni 2011

Angriff der Killerbremsen

152 Kilometer von Kamuischlow nach Tugulym, davon ca. 40 Kilometer auf Piste, 315 hm bei idealem Fahrradwetter mit teilweise leichtem Rückenwind bis 23 Grad

Wir haben keine Lust auf die E22 Hauptstraße und biegen deshalb auf eine winzige Nebenroute. Diese Route beginnt wieder einmal wunderschön und wird dann langsam aber sicher immer holprige und irgendwann ist der Asphalt weg. Aber das hatten wir auch erwartet und es ist sehr angenehm völlig verkehrfrei zwischen den Dörfern entlang zu radeln. Bei Trockenheit sind die Pisten bis auf ein paar Schlammlöcher gut zu fahren.

In den Dörfern, die weiterhin aus schönen Holzhäusern bestehen, sieht man auch nicht viele Leute. manchmal winkt ein Bauer oder eine Bäuerin vom Feld herüber oder ein Opa sitzt auf der Bank vor der Tür. oder an der Bushaltestelle stehen ein paar Leute und wir werden oft nach dem wohin und woher gefragt.

Der einzige Radler, der mit seinem Klapperrad uns heute begenet ist mehr als erschrocken, als wir ihn grüßen, reißt sich aber dann für einen kleinen Plausch den MP3 Player aus dem Gehörgang. Gegen Mittag haben wir wieder Asphalt unter den Rädern, bleiben aber auf der Nebenstraße.

Pausen kann man kaum noch machen, zu den allgegenwärtigen Mücken hat sich eine weitere Plage gesellt: Richtig große Bremsen . Die begleiten uns dann sogar auf dem Rad weiter und es ist mehr als lästig, hinter, neben und vor dem Rad ein Schwarm mit 20 manchmal sogar 30 Bremsen. Wenn man dann vom Rad steigt beginnt ein blutiges Gemetzel, die einen beginnen eine Blutmahlzeit und wir vergelten diese mit tödlichen Schlägen. Noch konnte ich nicht herausfinden, ob es sich um Pferdebremsen oder Rinderbremsen handelt, beim Versuch der Aufklärung habe ich gelernt, dass erstere dunkelbraune Augen und Rinderbremsen grüne Augen haben. Blauäugige Exemplare beider Gattungen haben vorher an alkoholisierten Personen gesaugt.

Gegen Abend stecken dann die 40 Kilometer Pist ordentlich in den Knochen. Die Logistik ist seit dem Ural wesentlich schwieriger geworden, einmal liegen die größeren Städte mit Hotel oder ähnlichem weiter auseinander und auch auf der E 22 kann man nicht mehr mit einem Truckerhotel aller 50 km rechnen. Um so mehr sind wir enntäuscht als wir in Kamuischlow eintreffen und das dortige Cafe mit Zimmervermietung geschlossen hat. Selbst ein Anruf beim Besitzer bringt keinen Fortschritt, man kommt dort nur nach Voranmeldung rein. Aber an der Scxhnellstraße soll es noch ein weiteres Hotel geben. Nachdem wir noch einmal in die falsche Richtung geschickt werden, finden wir dieses auch, von außen sieht es sogar recht schnuckelig aus, ober gibt es aber nur winzige Zimmer ohne Fenster mit drei Betten, inclusive eines Doppelstockbettes und dazu kostet es pro Person noch 600 Rubel (15 €), also pro Zimmer 1800 R. Zum Vergleich, dafür bekommt man in einigen Städten schon ein schönes Doppelzimmer mit Bad. Aber es ist 20 Uhr ubnd wir sind gut geplättet und haben keine andere Wahl, nein wir sind sogar recht froh, dass wir heute noch eine, wenn auch mickrige, Dusche und ein Dach über dem Kopf bekommen.

62. Tag: Donnerstag, der 16. Juni 2011

16. Juni 2011

Hinterm Ural

148 Kilometer von Jekatarienburg nach Kamuischlow, 350 hm, anfangs regen, dann optimales Radwetter mit leichtem Rückenwind und bis 20 Grad bei Wolken

Noch einmal genießen wir das gute Frühstück im Hotel und laden noch ein paar geschmierte Brötchen für die Mittagspause zu. Draußen sieht es nicht gerade sehr einladend aus, es regnet, es hat die ganze Nacht geregnet und es sieht so aus, also ob es in ganz Sibirien regnet.

Anfangs gibt es auf der Autobahn noch einen breiten Seitenstreifen, dann wird es wieder enger und der Verkehr ist recht straff und wir gehen wieder auf Tuchfühlung mit den LKW. Den Ural haben wir nun endgültig hinter uns gelassen, es ist merklich flacher, kaum noch mal ein Hügel. Allerdings ist von der Weite der Landschaft noch nicht zu viel zu verspüren, aber auf den Hauptstraßen hat man ja eh einen ganz anderen Eindruck von der Landschaft, der Gegend und den Leuten.

Geplant hatten wir nur einen kurzen Tag mit 90 Kilometern bis nach Bogdanowitsch, dort finden wir auch das Hotel oder besser gesagt, die sowjetische Herberge. Die Zimmer sind sehr schlicht und altmodisch und Dusche gibt es nur auf dem Flur, dafür eine kleine Küche, wo man hätte in schönes mahl zaubern können. Aber die übertakelte Matrone hat keine Lust auf Arbeit, es gibt keine Möglichkeit, die Räder sicher abzustellen, wir sollen zwei Kilometer vom Hotel parken. Also entschließen wir uns weiter zu fahren und sie hier in ihrer Absteige können warten bis der nächste Lenin mal wieder eine sozialistische Revolution veranstaltet.

Auf Kamuischlow zu haben wir noch ein kleines Stück Nebenstrecke und sofort wird es wieder schön. Hier passiert es dann auch öfter, dass die Leute nach dem Woher und Wohin fragen. Im Ort gibt es wieder ein winziges Hotel, aber wieder Nichts, es gibt dort nur ein Zimmer für eine Person überhaupt, kann aber auch sein, dass sich die Chefin wiederum im Schlaf gestört fühlt. Am Ortsausgang gibt es noch eine Herberge, etwas runtergekommen, aber man bemüht sich. Es gibt zwei Zimmer für uns, die Dusche wird schön heiß, leider hat das Cafe unten und der Laden gegenüber schon seit zwei Jahren geschlossen. Jacky und ich radeln noch mal ins Dorf zurück und wir plündern den Laden und kehren mit einer vollen Packtasche zum Abendbrot zurück.

Der tag war recht ereignislos, aber dann doch recht lang, immerhin fast 150 Kilometer die wir mit einem Schnitt von knapp über 20 km/h zurück gelegt haben.

61. Tag: Mittwoch, der 15. Juni 2011

15. Juni 2011

Ruinen und Technische Wartung

Zweiter Ruhetag in Jekataruienburg, sonnig bis 18 Grad

Endlich ist das schöne Wetter zurück, auch wenn der Wetterbericht für die nächsten tage noch Schauer verspricht, ist es wenigstens nicht mehr so kalt. nach den langen Etappen der letzten Woche gönnen wir uns einen zweiten Ruhetag und heute stehen die Fahrräder auf dem Programm. Und wie um unsere Absicht zu untersteichen, holen wir doch Jackies rad platt aus der Kofferkammer. Ein winziger Stahldraht von zerfledderten Autoreifen hat sich durchgebohrt und ein noch winzigeres Loch hinterlassen, das Problem kennen ich noch von der Athen-Beijing Tour. Miriam hat eine Schraube am Vorbau verloren, das Gewinde war total zerfressen, aber ich konnte es richten und nach 5000 km wechsele ich zum zweiten Male die Ketten an den Rädern. Heute kommt die erste Kette wieder drauf und am Baikalsee wird wieder gewechselt. So kann man die Laufzeiten von kette und Block erheblich verlängern, außerdem müssen die bremsen nachgestellt werden. Nach zweieinhalb Stunden sind die Räder dann wieder fit für die nächsten Etappen.

Auch heute machen wir wieder einen Spaziergang und statten der Fernsehturmruine einen Besuch ab. Rundherum befinden sich noch weiter Gebäude, die großkotzig geplant und dann mitten im Bau abgebrochen wurden, ein Paradies für rauchende Kids, Liebespärchen und Grafitti-Sprayer. Der eigenartige Bauszustand der Stadt zwischen Größenwahn und Verfall scheint der zentrale Eindruck der Stadt zu werden.

Auf den Straßen im Zentrum finden sich zahlreiche kleine Händler, eine Frau verkauft drei Sträuße Blumen und eine andere hat eine Kiste mit zehn Sonnenbrillen. Wie kann man davon leben? Ein Mann mit fünf Kartoffeln, drei Rettichen und einem Bund Lauchzwiebeln bitte ich um ein Foto, er bemängelt, das es in den letzten 10 Jahren für die alten Leute immer mehr bergab geht. Wir haben den Krieg gewonnen, den deutschen geht es gut und wir sitzen hier und wissen nicht, wo unsere Rubel herkommen sollen. Auf der Straße rauscht wieder die Autokolonne vorbei, auch teure Schlitten sind darunter, auch wieder einmal ein fetter Hummer. Russland wird wohl auf ewige Zeiten ein Land der großen Widersprüche bleiben.

60. Tag: Dienstag, der 14. Juni 2011

14. Juni 2011

Architekturclash

Ruhetag in Jekatarienburg, wolkig und ein wenig Sonne, kühl bei 18 Grad

Ruhetage sind immer anstrengen, meistens beginnt das mit einem zu üppigen Frühstück, danach ist man gleich wieder schwer müde und möchte ins Bett fallen anstatt Wäsche zu waschen. Dann kommen auch noch die anstrengenden Stadtspaziergänge. Die Millionenstadt Jekatarienburg ist nicht unbedingt schön zu nennen. Zuerst fällt einem eine Moderne ins Auge, die anderen Städten fehlt, dann realisiert man die vielen Grünflächen. Wenn man dann aber genau hinsieht realisiert man den sinnlosen Bauboom. Überall wird gebaut und in irgendeinem Stil, ich glaube die Stadt ist ein Mekka für Architekten, die um jeden Preis auffallen wollen. Die Hälfte aller neu gebauten Gebäude steht leer, man würde schon einen wirtschaftlichen Aufschwung a la China gebrauchen, um hier die Büros zu füllen. Zwischen den Stahl, Glas und Betonfassaden findet man dann selten Schmuckstücke aus alten Zeiten, eine klassizistische Fassade oder eine Kirche mit goldenen Kuppeln oder ein städtisches russisches Holzhaus. Letztere sind aber meist so eingekesselt von der Moderne, dass sie darin untergehen. Natürlich fehlen auch nicht die Jahre des Sozialismus, mitten im Zentrum befindet sich eine große Fabrik mit ihren wunderbar hässlichen grauen Fassaden und Industriedesign. Dahinter dann gleich die Plattenbauten, einige schön renoviert, andere ein wenig angenagt vom Zahn der Zeit, dazwischen immer aber ungepflegt. kein Stück Rasen oder keine Grünfläche, wo nicht irgendwelche Gerümpelhaufen dazwischen liegen, Spielplätze rotten vor sich hin und dahinter gleich wieder eine glitzernde Fassade eines Bürohauses. Also recht viele Widersprüche.

An Sehenswürdigkeiten haken wir heut nur die witzig anmutende Statue von Swerdlowsk ab, der irgendwie aussieht wie das tapfere Schneiderlein.

Nicht zu vergessen hier die Kathedrale auf dem Blut. 1916 wurde der letzte Zar, Nikolaus II hier ermordet, mitsamt seiner gesamten Familie. Mit der Absetzung von Diktatoren habe ich keine Probleme, da gehört das „Rübe ab“ nach Revolutionen einfach dazu, aber das die ganze Familie ausgelöscht wurde, ist dann doch schon sehr heftig. Inzwischen hat man an der Stelle eine Kathedrale errichtet, zwar gibt es in Russland keine Zarewitschs mehr, aber die Anhänger des Zarentums sind noch nicht ausgestorben und halten rund um die Kirche Andenken und Souvenirs bereit.

Langsam trödeln wir vielleicht vier Stunden durch die Stadt, der Verkehr hier ist auch recht dicht und chaotisch, aber wie in allen Teilen Russlands, die wir bisher kennen gelernt haben, sind die Autofahrer mehr als höflich zu Fußgängern. Man hat die Straße kaum betreten halten alle an und es versucht nicht mal jemand noch schnell vorbei zu kommen. Wenn die Russen sich die gleiche Höflichkeuit auch Radfahrern gegenüber angewöhnen würden, dann würde ich vielleicht doch hierher umsiedeln wollen.