69. Tag: Donnerstag, der 23. Juni 2011

23. Juni 2011

Geburtstag und Wetterwende???

70 Kilometer von Ischim nach Abatski bei anfangs strahlendem Sonnenschein und dann Wolken, leichter Rücken und kantenwind bei 22 Grad

Am Morgen wecken wir Barbara mit einem Geburtstagsliedchen, zur Feier des Tages gibt es Blümchen und eine Riesenportion Joghurt für sie. Draußen ist klarstes Wetter und die Sonne lacht schon wieder seit vier Uhr morgens. Das Frühstück im Hotel, eine Schüssel Milchreis und ein Pfannkuchen halten uns nicht lange auf und um 8 Uhr sind wir auf den Rädern. In der Stadt gibt es noch eine Stalinbüste. Das „Pamjatnik“ des Generalissimus der UdSSR ist schnell gefunden, im Moment etwas eingemüllt in einer Baustelle hinter einem Verwaltungsgebäude, liegen aber rechts und links trotzdem frische Blumen. Obgleich sich auch in Russland die kritischen Stimmen am „genialen Strategen des Zweiten Weltkrieges“ durchgesetzt haben, scheinen immer noch genügend gestrige den alten Zeiten nachzutrauern. Bei den katastrophalen Zuständen im land sei es aber den Leuten nicht zu verdenken, wenn Tendenzen aufleben, sich an Zeiten zu erinnern, die an Ruhm und Ehre des Landes erinnern.

Nicht nur das bei den Säuberungsaktionen Stalins Millionen Menschen das Leben ließen, auch die Kriegsführung des Generalissimus ist unter Geschichtswissenschaftlern mehr als umstritten. in einigen Schlachten wurden mehr als sinnlos hunderttausend Soldaten verheizt, ohne dass der strategisch erzielte Vorteil dies gerechtfertigt hätte. So ergibt sich auch, dass die Sowjetunion um ein Vielfaches mehr Soldaten im Krieg verlor, als die deutschen und Restalliierten zusammen.

Unterwegs packt Barbara eine kleine Wodkaflasche aus und wir begießen schon gegen 10.30 Uhr morgens den Tag mit 40%igem Alkohol, heute heißt es nicht mehr: „Von der Sowjetunion lernen, heißt Siegen lernen!“; sondern: „Von Russland lernen, heißt Trinken lernen!“

Bei Sonnenschein und angenehmen Temperaturen sieht die Landschaft gleich ein wenig freundlicher aus und die weiten Landschaften wirken nicht mehr so depressiv. bei einer kleinen pause nach 20 Kilometern loben wir noch die russischen Straßen, die seit Moskau und besonders seit kasan doch recht ordentlich geworden sind, um dann gleich in einer Baustelle und 5 Kilometer Holperstrecke zu enden. Danach ist der Asphalt aber wieder ok.

leider ist die Sonne schon gegen halb 12 wieder hinter Wolken verschwunden und auch Regen scheint nicht mehr unmöglich, was ist das denn für ein riesiges Tiefdruckgebiet, das uns begleitet. Als wir um 13 Uhr in Abatkoe eintrudeln finden wir ein recht ordentliches Hotel vor und überlegen. die Stückelung nach Omsk ist denkbar schlecht, bis zur nächsten Raststätte sind es 90 Kilometer, das hieße heute fahren bis zum Anschlag und danach wären es wiederum mehr als 160 Kilometer bis Omsk. Also entschließen wir uns, obgleich der guten Fahrbedingungen, hier zu bleiben und morgen noch etwas zeitiger hier zu bleiben.

Abatski erweist sich als ein Ort mit wunderschönen Holzhäusern und es macht Spaß eine Runde etwas abseits der Hauptstraße zu drehen. In den Gärten hat man auf Selbstversorgung mit Kräutern, Gemüse und Kartoffeln umgestellt, letzter fallen uns heute erstmals in größerem Maßstab auf.

Danach ist bei mir großer Waschtag angesagt und mit einiger Mühe gelingt es die Originalfarben an den Kleidungsstücken wieder annähernd herzustellen, meine Gore-Socken zu entduften und selbst auch wieder schön sauber zu werden.

Am Abend verschlingen wir dann unten im Restaurant große Portionen an Pelmeni und trinken noch etwas Bier dazu. Nicht zu spät geht es dann ins Bett, denn für morgen haben wir ja einen zeitigen Start geplant.

68. Tag: Mittwoch, der 22. Juni 2011

22. Juni 2011

Dauerregen III

83 Kilometer von Golyshmanovo nach Ishim, ab Mittag wieder Regen, deshalb dann doch nach Ishim, Scheißhotel, 98 hm und 14 Grad bei gutem Rückenwind

Der Tag beginnt schon blöd. Die Nacht im winzigen Dreierzimmer war nicht sonderlich erholsam.

Der Plattfuß an Miriams Rad ist wieder da und wiederum ist die Ursache nicht auffindbar. Es kommt eine kleine raue Stelle an der Felge in Frage oder ein winziger Draht im Mantel, der sich nicht ertasten lässt. Gerhard will unbedingt einen neuen Mantel aufziehen und so werden wir die wirkliche Ursache nicht ergründen und fahren zudem einen 60 % abgefahrenen Mantel mit uns herum, von dem wir nicht wissen, ob er defekt ist oder nicht.

In der Stolowaja, also der Kantine gegenüber will man uns nichts zu essen verkaufen, zum einen ist das Menü sowieso schon auf fast nix reduziert, zum anderen hat die Dame am Tresen keine Lust mehr, sie habe heute ihren freien Tag und die Ablösung ist noch nicht da. Da ist es gerade 10 Minuten nach 8.

Zum Glück gibt es noch ein zweites Lokal und so beginnen wir den Tag mit einer Soljanka und etwas Brot. Am Abend vorher hatte ich gefragt, ob es möglich sei Milchreis für 5 Personen zu bekommen, die Antwort war ohne nachzudenken: „Njet!“

Ein paar Kilometer später kommt Barbara mit kreischenden Bremsen an, das klingt nach Metall auf Metall und die Felge hat auch schon gut einen Schrammen weg. Ich wechsele die Bremsbeläge und hoffe nur, dass die Felge noch bis zum Ende der Reise hält.

Die Landschaft ist wieder genau so monoton, wie schon in den letzten beiden Tagen davor. manchmal kann man den Horizont ganz weit weg hinter den trüben Nebelschwaden erahnen. Weite Wiesen oder Felder auf denen aus irgendwelchen grüne Erbsen angebaut werden, Erbsen, Erbsen, Erbsen soweit das Auge reicht. Dazwischen dann Grüppchen von Birken und seltener Kiefern, manchmal sogar ein richtiger Birkenwald. Im letzten jahr war der Sommer zu heiß, so dass es in vielen Regionen zu Waldbränden kam. Häufig sehen wir Birkenwäldchen, in denen die Stämme bis auch fünf Meter angekohlt sind und oben wird es dann wieder schwarz-weiß und grün. besonders bei Regen legt sich die Weite der Landschaft aufs Gemüt und ich packe meinen MP3 Player wieder aus und stöpsele mich an Musik.

Es sieht zwar schon wieder nach Dauerregen aus, aber es bleibt am Morgen erst einmal trocken. Wir kommen noch ohne Regensachen bis kurz vor Ischim und in die dortige Raststätte. Dort haben wir reichlich Mittag und die Suppen und Salate sind seit langen wieder einmal recht gut. Eine gute Basis für die nächsten 65 oder 70 Kilometer, die wir noch beschließen.

Leider fängt es an zu regnen und so wackelt an der nächsten Kreuzung der Beschluss und fällt der Demokratie zum Opfer, dabei sind wir eh schon nass. Also fahren wir in die Stadt und treffen auf die nächste Enttäuschung des Tages – unser Hotel. Unverschämte Preise für unrenovierten Sozialismus, 70 € für ein Doppelzimmer mit grenzwertigem Badezimmer und immerhin noch knappe 20 € für ein Bett im winzigen Dreibettzimmer ohne Bad. Also ist heute wieder Jugendherberge angesagt.

Die Stadt gibt nicht viel her. Eine verbliebene Stalin Statue sehen wir uns morgen früh an, die soll etwas außerhalb sein. Das Zentrum bildet die Karl Marx Straße, hier versucht man so etwas wie eine Promenade zu gestalten, doch wo man noch nicht fertig ist mit den Pflaster- und Gestaltungsarbeiten bröckelt schon wieder der Putz, die Bauausführung ist mehr als schlampig (wir haben den Fachmann dabei!), überall sammelt sich Regenwasser und es liegt Bauschutt herum.

Auch Restaurants gibt es keine, nur wieder ein Bistro mit Plastikassietten und Plastiklöffel und Gabeln. Die Frage nach einem Messer trifft auf Unverständnis, aber als ich betone, dass ich meine zähe Krautrollade nicht mit den Fingern zerreißen will, bekomme ich dann ein Messer mit 25 cm Klingenlänge aus der Küche.

Dann geht es zurück zum Hotel und schreibe noch etwas misslaunig meine Berichte, mal überlegen was morgen alles noch schlechter werden kann, bevor wir uns die Sprungfedern der Matratzen in den Rücken bohren.

67. Tag: Dienstag, der 21. Juni 2011

21. Juni 2011

Dauerregen II und Plattfußprinzessin Mirjam

Von Sawodoukamsk nach Golyshmanovo, 127 Kilometer durch den Dauerregen und mal wieder Plattfüße, 244 hm, leichter Rückenwind bei 14 Grad

Auch regnet es gleich wieder am Morgen. Trotz der Bitte nach Milchreis ist um 7 Uhr nichts vorbereitet und es soll dann noch einmal eine halbe Stunde dauern. Alternativ bekommen wir Haferbrei mit Milch angeboten. Mit viel Zucker bekomme ich das Zeug auch runter und es füllt auch den Magen.

Gleich am Morgen stöpsle ich mich an dem MP3 Player, ich habe mich schön warm eingepackt und dann geht es wieder raus in die Einöde. Wieder geht es durch unendliche dunstige Weite. Der Verkehr ist glücklicherweise seit Tjumen nicht mehr so straff, so dass man gedanklich nicht mehr ständig bei den eng vorbei blasenden Trucks sein muss. Und gegen Mittag hört es dann sogar ganz auf mit Regen und es sind nur 13 Kilometer bis zur Mittagspause. Also drehe ich seit langem wieder einmal voll auf und ziehe von dannen und bin recht schnell an der diesmal recht modernen Raststätte, schade, dass wir nicht hier bleiben können, denn an der Tür prangt ein W-lan Schild. Internet hier mitten in der Einöde, während der Rest des Landes noch recht weit von technischen fortschritt entfernt ist. Als Reisender hat man ja gute Gelegenheit hier verschiedene Länder zu vergleichen. China ist internettechnisch ein Paradies, hier gibt es in fast jedem Hotel freies Internet, auch wenn der ort noch so klein ist. Vietnam war ebenfalls eine positive Überraschung, auch hier findet man oft in winzigen Hotels in kleinen Orten noch eine Verbindung. in Laos ist man bemüht, aber das Netz ist oft rech langsam. In Burma gibt es langsam Fortschritte, aber seit den Unruhen vor zwei Jahren ist der Datenfluss so gedrosselt worden, dass man kaum arbeiten kann. Aber Russland ist wirklich der absolute Tiefpunkt.

Nach 10 Minuten ist von der Truppe nichts zu sehen, also drehe ich mein Rad und strampele gegen den Wind zurück, noch einmal 7 Kilometer, dann treffe ich die anderen. Miriam hat einen Plattfuß und der ist inzwischen behoben und so geht es dann gemeinsam wieder die letzten 7 Kilometer bis zum Mittag.

Nachmittags fahren wir dann nach fünf sonnigen Minuten in eine Gewitterfront und werden noch einmal nass. Dazu hält dann Mirjams Hinterreifen wieder die Luft nicht, aber mit noch einmal Nachpumpen kommen wir zum Ziel. Damit küren wir Mirjam heute zur Palttfußprinzessin. Bei der zweiten Hälfte meiner gestrigen Wodkaflasche flicken wir den Schlauch heute zum zweiten Male, finden aber keine Ursache im Mantel und das missfällt mir sehr.

Das Hotel ist ein wenig schlampig, wir haben wieder nur winzige Dreibettzimmer, was mit dem Gepäck und den nassen Sachen ein wenig nervt, das Essen ist ziemlich fettig und draußen regnet es in Strömen. Wir haben schon bessere Tage erlebt.

66. Tag: Montag, der 20. Juni 2011

20. Juni 2011

Dauerregen und sonst Nichts

90 Kilometer von Tjumen nach Sawodoukowsk, ausgedehnter Dauerregen bei 13 bis 14 Grad, 71 hm in platter einförmiger Landschaft

Schon bei Regen verlassen wir Tjumen und es soll den ganzen Tag nicht aufhören; zwar sind wir zwischendrin, dank einer einstündigen Regenpause fast trocken, aber dann geht es schön einförmig weiter. der einzige Vorteil, den uns das Wetter bringt, ist, dass der Wind weiterhin von hinten kommt.

Sibirien ist Monotonie pur, verstärkt durch den Regen. Birkenwälder, Weiden mit nur selten Tieren darauf. Kaum Dörfer, eine lange gerade Trasse, die man manchmal fünf Kilometer einsehen kann, Birkenwälder und ansonsten Nichts. Nur ganz selten ein Dorf und dann meist auch nicht an der Straße, sondern irgendwo zwei oder drei Kilometer nach links oder rechts, wo nur eine schlammige Piste hinführt.

Auch die Raststätten liegen immer weiter entfernt voneinander und so muss man jetzt essen, wenn eine Raststätte kommt und nicht, wenn man Hunger hat, auch wenn die einzige dieser Art dann auch nicht sehr einladend aussieht, vor allem, wenn man versucht hat, vor dem Eseen der dortigen Toilette einen Besuch abzustatten, eigentlich wäre hier der begriff „Unsanitäre Anlage“ angebracht, für das verschmierte Plumpsklo mit Loch im Fußboden.

Nachmittags dann das gleiche wie am Vormittag bis nach Sawodoukowsk, das heißt bis zur dortigen Raststätte, denn in der Siedlung soll es kein Hotel oder eine andere Übernachtungsmöglichkeit geben. Dafür sind die Leute an der Raststätte sehr nett, unsere Fahrräder dürfen in eine Nebenzimmer, ohne das wir fragen oder einen Aufpreis zahlen müssen, das Essen ist zwar nicht besonders gut, aber aus der Dusche kommt reichlich heißes Wasser und ich sponsere eine Flasche Wodka auf den Regentag. Wir sitzen dann noch ein wenig im Zimmer und ich versuche meinen Mitstreitern das Skat spielen beizubringen, aber wir werden wohl noch ein paar Abende brauchen, bevor wir richtig gut zocken können.

Draußen vor dem Fenster, mit Blick auf den Lada-Friedhof regnet es weiter und es sieht auch nicht so aus, als ob es jemals wieder aufhören möchte.

65. Tag: Sonntag, der 19. Juni 2011

19. Juni 2011

Auf der Jagd nach dem schnöden Mammut

Irrspaziergang durch ganz Tjumen auf der Suche nach dem Naturkundemuseum, ansonsten ruhiger Tag bei launischem Wetter bis 21 Grad

Unser heutiger Plan sieht den Besuch des Naurkundemuseums vor, hier soll es eines der wenigen gut erhaltenen Mammutskelette der Welt geben. Die Dame an der Rezeption hat uns die Adresse gegeben und so machen wir uns auf den Weg in die Leninstraße. Schon nach dem ersten und zweiten Fragen nach dem Weg gehen die meinungen nach der eizuschlagenden Richtung auseinander und so geht es dann weiter. So kommen wir letztlich zu einem ungewollten Stadtrundgang und kennen uns nun wirklich aus in der „City“. Das Zentrum ist doch größer und etwas vielseitiger als gestern geschildert, es gibt eher so eine Art alten und neues Zentrum. Hinter einer Plattensiedlung trifft man dann neben den Bauten aus den 80ern auf ein paar gut erhaltene Holzhäuser. Doch es leigt nicht nur am Wetter, das die Stadt einen triesten Eindruck macht. An jeder Ecke Bauschutt und nix ist richtig vollendet gebaut, nach dem regen steht überall das Wasser und es blättert allerorts der Lack und die Farbe. Gerhard, unser Bauexperte rät zu einem generellen Abriß und Neuaufbau unter Leitung seiner kleinen Baufirma, damit hier endlich Schluss ist mit Pfusch und Schlamperei.

Irgendwann nach zwei Stunden Fußweg erreichen wir dann die Leninstraße Nr. 2, dort gibt es dann ein Bürohaus und einen Schreibwarenladen, aber kein Museum, wir fragen weiter und weiter und werden noch mal vor und zurück geschickt und dann haben wir es endlich gefunden, das Naturkundemuseum vom Tjumen in der ulitza lenina nr. 2, die Hausnummer hat mindesten 10 Gebäude und das letzte davon war es dann. ohne zu meckern entrichten wir den überzogenen Eintritt und stehen dann endlich vor den Knochen des Urviehs. Gigantisch füllt der Koloss den Raum und lässt uns ziemlich klein aussehen. Mit nicht ganz so großem Interess erkunden wir dann noch den Rest der kleinen Ausstellung mit Tierchen und Geflügel aus der Region und überlegen, was wir davon alles schon überfahren auf der Autobahn gesehen haben. Unten im Haus gibt es dann noch ein paar Terrarien mit Schlangen und Fröschen und anderem Getier.

Für den Rückweg nehmen wir dann den Bus und es wird zeit für ein eholsames Schläfchen vor dem Abendessen.

Unser nächstes etappenziel ist Omsk, das wir in 5 oder 6 Tagen erreichen werden, dazwischen sieht es nicht gut fürs Internet aus und auch der Wetterbericht verheißt Kühle und Regen. mal sehen, ob wir in einer Woche noch gute Laune haben.