13. Tag: Samstag, der 11. August 2012

19. August 2012

Ein erster Tag im Radfahrparadies

102 Kilometer mit leichtem Rückenwind durch wunderschöne Wiesenlandschaften von Suchbaatar nach Darchan mit legeren 610 Höhenmetern

Was für ein Sonnentag, der blaue Himmel strahlt und die Sonne lacht, doch am Morgen ist es noch recht frisch. Wir verlassen das Städtchen in Richtung Grassteppe und die Landschaft ist von Anfang an wunderschön. Es gibt keine Häuser und Siedlungen und auch nur wenige Jurten, dazwischen nichts als weite hügelige Landschaften pur. Blumen blühen am Straßenrand und die Wiesen leuchten in bunten Farben. Ab und zu gibt es ein wenig Nadelholz, manchmal einen kleinen Wald. Der leichte Rückenwind macht das Fahren zum reinen Vergnügen, auch wenn es ab und zu einen Hügel hinauf geht. Hinter den ersten Hügeln wird die Landschaft offener und die Landschaften werden viel weiter, die Straße führt unendlich lange geradeaus.

Mitten in der Landschaft treffen wir wieder auf die Bahnlinie nach Ulaan Baatar und es gibt zwei kleine Häuser, in denen einfache mongolische Gerichte serviert werden, die aber ungemein lecker sind. Dabei ist die Auswahl nicht einmal groß, entweder gibt es ein Nudelsuppe oder gebratene Nudeln. Wir räumen einen der beiden Tische des Lokals ins Freie und genießen unser Mahl in der warmen Sommersonne, während der Haushund mehr oder weniger ungeduldig auf unsere Reste wartet. Dann geht es weiter durch die grüne Landschaft, bis am Nachmittag dann wieder erste Häuser auftauchen, wir nähern uns der zweitgrößten Stadt des Landes, Darchan, die ca. 200.000 Einwohner hat. Am Rande der Stadt dominieren die Jurtenviertel, das heißt in jedem der umzäunten Gärten stehen eine Jurte und dazu ein kleines Haus. Die Stadt wächst in alle Richtungen. Mugi, die hier geboren wurde erzählt uns, welche Viertel es hier in ihrer Kindheit überhaupt noch nicht gegeben hat. Auch ein paar Betriebe gibt es in der Stadt, aber zu sozialistischen Zeiten sei es mehr gewesen.

Einen halte machen wir auf einem Hügel. der Alt-Darchan von Neu-Darchan trennt, dort gibt es einer großen Buddha-Skulptur, die von acht kleinen Stupa umgeben ist. Ab und zu pilgern hier auch ein paar Mongolen vorbei und spazieren dann weiter über eine große Brücke zu einem kleinen Park mit einem Reiter auf einem Sockel. Der stürmische Reiter im Galopp hält das traditionelle Musikinstrument der Mongolei in den Händen, die Pferdekopfgeige. Zum Denkmal gehört ein altes Märchen von einem Mann, der eine Frau und eine Geliebte hatte. Eines Tages musste der Mann wieder zurück zu seiner Familie und Frau, weshalb ihm die Geliebt ein gelbes Zauberpferd mitgab, mit der er über die lange Distanz im Handumdrehen zu ihr reiten konnte. Sie warnte aber ihren Geliebten, dass ihm niemand auf dem fliegenden Pferd sehen dürfe, deshalb solle er es beim Losreiten und Ankommen bei seiner Frau wie ein normales Tier reiten. Die Dreiecksbeziehung funktionierte so auch einige Jahre recht gut, bis der Mann doch einmal vergaß seine fliegendes Pferd rechtzeitig auszubremsen und seine Frau, die dies beobachtete, ahnte sofort den Zusammenhang, weshalb sie das gelbe Pferd tötete, so dass ihr Mann nicht mehr des Nachts zu seiner Geliebten entschwinden konnte. Aus Verzweiflung und Trauer baute der Mann sich eine Geige, die er mit einem Pferdekopf schmückte und mit Rosshaar bespannte. Noch heute kann man beim Klang der Pferdekopfgeige, die nur von Männern gespielt werden soll, seinen Schmerz und seine Trauer spüren.

Abends gibt es nicht mehr viel zu tun, als im Restaurant nebenan auf das Essen zu warten und dabei ein paar „Dschingis“ Bier zu trinken. Inzwischen wird es langsam dunkel und empfindlich kühl. Der Unterschied zwischen der Tages- und Nachttemperatur ist hier in der Mongolei viel größer als zu Hause.

 

12. Tag: Freitag, der 10. August 2012

11. August 2012

Neues Land-neues Glück

nur 28 km über die mongolische Grenze von Kjachta nach Suchbaatar, erstes mongolisches Mahl und Spaziergang durch das Städtchen

Am Morgen stehen wir relativ zeitig an der Grenze und dort öffnet gerade das Lokal, also investieren wir unser russisches Kleingeld noch in ein eierhaltiges Frühstück und verabschieden uns von unserem Fahrer Peter. Unser Dank gilt hier auch noch einmal Gerhard Nenke in Leipzig mit seinem Reisebüro Weit-Blicke, der uns die russischen Visa besorgt hat und den russischen Teil unserer Reise organisiert hat, ebenso wie Julia von Baikal-Kanikului, die mit der praktischen Abwicklung unseres Russlandtrips beschäftigt war. Bolschoi Spassibo! Es hat alles wunderbar prekrasnui geklappt und wir haben viele Eindrücke und Erlebnisse mitgenommen.

An der Grenze treffen wir einen schwedischen Österreicher, der seit Mai mit dem Rad von Stockholm hierher unterwegs war, Wilfried. Natürlich kommen wir unverzüglich ins Gespräch. Wilfried ist Lehrer und hatte vor vielen Jahren mal eine Liste gemacht, auf welcher er notiert hatte, was im Leben noch zu tun sei. neben dem Bau eines Hauses, was er in den letzten Jahren verwirklicht hat, stand dort auch eine Fahrradweltreise und diesen Traum verwirklicht er nun jetzt. Außerdem will er seinen Schülern zeigen, dass man auch mit emissionsfreiem Reisen um die ganze Welt kommt. (www.travellingwithoutemissions.tk)

Der Abschied vom russischen Bären geht schnell. In diesem Jahr lässt man uns vor der Grenze nicht warten, sondern wir werden gleich herein gewunken. Nach 20 Minuten haben wir die russischen Formalitäten hinter uns gelassen und noch einmal solange brauchen die Mongolen, um uns reinzulassen. Alles läuft ohne Probleme ab. Und wir tauschen unsere Rubel in die neue Währung, den Tugruk. Für einen Euro gibt es dafür 1650 Tugruk.

Auf der anderen Seite wartet Mugi von Mongolei Reise auf uns. Dabei hat sie Alga, unseren netten Fahrer vom Vorjahr und sie wartet schon mit einem Kaffee auf uns. Eine Stunde haben wir gewonnen und so sind wir heute noch sehr zeitig dran. Nur 28 Kilometer sind es bis nach Suchbaatar, noch ist die Strecke nicht spektakulär, es geht durch eine Grasebene in die kleine Stadt mit ca. 20.000 Einwohnern. Das Hotel ist unerwartet schick, es hat gerade eröffnet, lediglich das warme Wasser funktioniert nicht. Wir starten zu einem kleinen Rundgang durch das Städtchen und am Markt gibt es einen kleinen Zwischenfall. ich kenne die Mongolen als sehr fotofreundlich, man kann überall gut fotografieren und die Leute haben auch Spaß daran. Nicht so ein mongolischer Händler, der aufspringt und mir die Kamera aus der Hand rei0ßen will. Er ist unheimlich aggressiv und lässt sich kaum beruhigen, auch als ich anbiete die Bilder sofort zu löschen, aber selbst das lässt er nicht zu und beginnt eine Rangelei. Dann können wir ihn beruhigen und die Situation entspannt sich wieder.

In einem kleinen Laden bekommen wir eine gute Mahlzeit mit Rindfleisch und Nudeln und einer tollen Kimchi-Suppe, das koreanische eingelegte Gemüse hat auf seinem Siegeszug um die Welt also auch die Mongolei erreicht.

Das Städtchen ist obgleich seiner niedrigen Einwohnerzahl Provinzhauptstadt und obwohl es vorwiegen Holzhäuser im russischen und Betonbauten im sozialistischen Stil gibt, also wie in Russland, macht alles einen etwas saubereren und gepflegteren Eindruck als auf der anderen Seite der Grenze. Auf einem Hügel am Rande der Stadt gibt eine moderne Skulptur einer mongolischen Prinzessin, verkörpert ist keine besondere Person, sondern die Stellung der Frau in der Mongolei soll damit betont werden. Einen schönen Blick hat man über die Grassteppe, gleich am Stadtrand hinter der Eisenbahn stehen ein paar Jurten und die Viehherden weiden in der Nähe. Auf dem Rückweg durch die Gassen fällt ein Auto besonders auf, nicht nur wegen seines sportlich-proletarischen Tunings, sondern wegen seiner Bemalung, auf der einen Seite ein Indianerkopf, auf der anderen eine Reichkriegsflagge mit Hakenkreuz, die hier definitiv kein buddhistisches Symbol darstellen soll. Aber mit dem Wiederaufleben eines starken Nationalismus in der Mongolei, in der nachsozialistischen Zeit kam auch Dschingis Khan wieder zu Rang und Ehre, fällt wohl auch schon einmal ein stumpf-dumpfer Blick auf andere historische Führungsfiguren in der Weltgeschichte. Mugi versichert uns, dass es sich um Sicherheit um einen Idioten und Einzelfall handelt.

Beim Abendessen probieren wir dann Dschingis Bier, welches sehr erfrischend und lecker ist, und am Abend bin ich mit Alga, unserem Fahrer, auf einem Zimmer und wir probieren dann einen kleinen Schluck des „Dschingis“ Wodkas. Damit lässt sich die Kommunikation dann etwas ankurbeln, denn wir haben keine einzige Sprache gemeinsam, trotzdem funktioniert es ganz gut, auch über die Olympischen Spiele in London, nach zwei Runden im Boxen liegt der mongolische Boxer vorn, muss aber leider in der dritten Runde zuviel vom Litauer einstecken und verliert den Kampf. Darauf brauchen wir dann noch einen Schluck vom „Dschingis“.

Donnerstag, der 9. August 2012

11. August 2012

Der letzte Schritt in Russland

128 km von Gusinosersk nach Kjachta, deftige Berge mit 1320 hm, bei idealem Radlerwetter, also manchmal sonnig bis 25 Grad bei leichtem Rückenwind

Was haben wir ein Glück mit dem Wetter, als wir das Hotel verlassen regnet es noch, aber schon nach zehn Minuten können wir die Regensachen für den Rest des Tages wegpacken. Gleich von Anfang an geht es kräftig bergauf und dann eine lange Abfahrt wieder hinunter. Links liegen der See, das Kraftwerk und die verfallende Stadt, vor uns grüne Berge und ab und zu ein wenig Wald. Dann bekommen wir eine erste Vorahnung auf die mongolische Weite, die Straße zieht sich fast schnurgerade durch ein hügeliges Land, Wolken und Wind spielen ein abwechslungsreiches Spiel, während die grüne Weite an uns vorüberzieht. Mit leichtem Rückenwind üben wir heute vollendetes Landschaftsfahren fast ohne Verkehr. Nur selten treffen wir heute auf eine Siedlung und es gibt auch nur wenige Raststätten, auf einem Pass teilen wir unsere letzten Vorräte vom Frühstück, das wir heute auf dem Zimmer genommen hatten. Ein paar Scheiben Brot, zwei Äpfel, ein bisschen Käse und einen Schokoriegel reichen aber, um über den nächsten Berg zu kommen, nach 90 Kilometern kommt dann aber doch noch ein Truckstop mit einer guten Nudelsuppe.

Auch die letzten 30 Kilometer sind noch einmal recht bergig, bis dann Kjachta, der Grenzort vor uns auftaucht. Die Siedlung hat sich seit dem 17. Jahrhundert als Handelszentrum für Pelze einen Namen gemacht, zwei große Kirchen zeigen von einstigem Wohlstand. Heute ist die Stadt eine große Garnison der russischen Armee, ein Bollwerk gegen die „gelbe Gefahr“. Hunderte von gepanzerten Fahrzeugen und Panzern lassen sich von der Straße aus sehen, von Geheimhaltung keine Spur; vielleicht heißt ja Abschreckung die Strategie. Das kleine Hotel in Grenznähe ist recht familiär und gut in Schuss. Gleich gegenüber befindet sich eine ehemalige Fabrik mit einem monumentalen stalinistischen Eingangsbereich. der ist heute zugenagelt und das tolle Gebäude verfällt zusehends. Davor steht auf dem maroden Platz einsam, verlassen und etwas traurig eine Leninstatue, der wir ein wenig Abwechslung bringen.

Trotzdem macht die Stadt keinen ganz so morbiden Eindruck wie Gusinoosersk am Vortag, vielleicht liegt das daran, dass eben mit dem Militär auch Arbeitsplätze erhalten bleiben. Im Lokal an der Kreuzung sind jedenfalls außer und nur noch eine Gruppe vom 8 Offizieren, die sich zum Abendessen zwei Flachen Wodka einverhelfen, allerdings ohne scheinbare Auswirkungen. Am Abend genießen wir in der Laube vor dem Hotel die Strahlen der warmen Abendsonne bei ein paar Keksen und Schokolade, unser letzter Abend in Russland, das wir sehr interessant und widersprüchlich fanden. Die Landschaft und die vielen netten Menschen, die wir getroffen haben, machen diesen Teil Sibiriens jedoch immer wieder für eine Reise interessant. Kulturell haben wir jede Menge über die russischen Siedler und die Burjaten und über die ewenkischen Ureinwohner erfahren und mit dem vielen Fisch aus dem Baikal sind wir auch kulinarisch ab und zu auf unsere Kosten gekommen. Morgen lassen wir das alles nun hinter uns und beginnen den mongolischen Teil unseres Reiseabenteuers.

 

 

Mittwoch, der 8. August 2012

11. August 2012

Am Ende der russischen Welt

115 km von Ulan-Ude über das Kloster Ivolginsk nach Gusinoosersk , leichte Hügel mit 450 hm bei angenehmen 25 Grad und Sonne mit Wolken

Am Morgen verabschieden wir uns von Julia, die uns hier in Russland logistisch unterstützt hat, dann schwingen wir uns auf die Räder.

Langsam verschwindet die letzte größere russische Sztadt hinter uns und schon gleich inter der Stadt macht sich der Wandel in der Landschaft bemerkbar. Waren an den Vortagen noch Wälder vorherrschend, kommen wir nun mehr und mehr in Steppenlandschaft. Es gibt viele weite und freie Grasflächen und kaum noch Bäume, auch keine Birken. Dafür treibt der Wind die Wolken schnell am Himmel her und Sonne uns Schatten wechseln schnell. Ist am Ortsausgang der Verkehr noch recht straff, wird es sofort nach dem Abzweig des M55 Highways merklich ruhiger. Die M55 entschwindet unseren Blicken im Osten in Richtung Chita und Wladiwostok, auch eine Strecke, aus der man ein weiteres Radabenteuer machen könnte. Doch wir haben erst einmal Sehnsucht nach den Steppen der Mongolei, die nun im Süden vor uns liegen.

Die Kulturen gehen hier fließen ineinander über, dominieren in Ulan-Ude noch die Türme der russisch-orthodoxen Kirche, liegt 40 Kilometer hinter der Stadt das größte buddhistischen Kloster in Sibirien. Im Vergleich zu buddhistischen Anlagen in Tibet oder China ist das Kloster immer noch ziemlich klein, auch irritieren den Chinakenner die russischen Holzhäuser zwischen den Tempeln, in denen die Mönche wohnen. In den Tempeln dann da gewohnte Bild von Bodhisattvas und Buddhas. Besonders verehrt werden die Taras, denen zwei Tempel geweiht sind. Nur wenige Pilger ziehen ihre Runden um die Anlage und drehen die Gebetsmühlen, aber vor dem Tempelgelände gibt es eine stadionähnliche Anlage, wo zu Festivalzeiten ein buntes Leben toben wird. In einem Tempel läuft gerade eine Zeremonie, als wir noch ein wenig verweilen wollen, werden wir mit einer unwirschen Handbewegung gebeten weiter zu gehen. Mythen ranken sich um einen hohen Lama, der hier vor mehr 40 Jahren das Kloster geleitet hat. Seinen Sarg hat man in einem Tempel aufgebahrt und in Abständen von 10 Jahren immer wieder geöffnet, ohne das der tote Körper Anzeichen von Verfall gezeigt haben soll, aber den Sarg bekommt man als Tourist natürlich nicht zu sehen.

Um zur Straße nach Süden zurück zu kehren müssten wir einen Umweg von 14 Kilometern in Kauf nehmen oder eine meiner berüchtigten Abkürzungen probieren. Wir tun Letzteres und wir haben Erfolg, mit dem Ritt auf einem schmalen Feldweg durch bunte Wiesen finden wir einen schnellen Durchstich zur Straße zurück.

Anmutig führt unsere ruhige Straße seichte Hügel hinauf und hinunter, bis am Nachmittag dann der Schornstein des Kraftwerkes von Gusinoosersk am Horizont auftaucht. Die Stadt macht einen jämmerlichen Eindruck. Einst gab es hier metallurgische Industrie und Bergbau, heute ist ein großer Teilt der Bevölkerung ohne Beschäftigung oder schon weggezogen. Viele der abgewohnten Blocks aus den 70er Jahren stehen leer und verfallen. Auch unser Hotel ist ein Relikt aus dem Sozialismus, was die Ausstattung der Zimmer angeht, besonders das Badezimmer mit all seinen Provisorien ist ein spätsozialistisches Prunkstück, aber immerhin, das warme Wasser funktioniert. Wir drehen noch eine Runde durch den Ort und studieren den Verfall, die Ruine eines Betriebes und eines Stadions zeugen von besseren Zeiten. Heute würde der Ort sich lediglich noch als Endstation für russische politische Verbannte eignen, vielleicht sollt man Putin einen entsprechenden Vorschlag machen.

Das Abendessen im einzigen Lokal der Stadt, welches sich im Hotel befindet, ist recht ordentlich, danach haben wir keine Lust mehr zu weiteren Aktivitäten, schließlich haben wir auch 115 Kilometer in den Beinen.

 

 

9. Tag: Dienstag, der 7. August 2012

7. August 2012

Ewenken, Altgläubige, Kosaken und Burjaten

Stadrundgang und Fahrt ins ethnologische Freilichtmuseum von Ulan Ude mit mit toller Führung bei sonnigen 27 Grad

Eine Stunde länger schlafen hat sich gelohnt, ich fühle mich zum ersten Male auf der Tour richtig ausgeschlafen. zu allem Überfluss funktioniert auch das warme Wasser, also kann ich schnell vor dem Frühstück noch meine Wäsche durchziehen.

Um 10 Uhr treffen wir auf Natascha, eine Sprachwissenschaftlerin aus Ulan Ude, die uns heute durch die Stadt und durchs Freilichtmuseum führen wird.

Natürlich beginnen wir unseren Rundgang wieder am Leninkopf, der mit 7,5 Metern der größte seiner Arte der Welt ist. Zwar wird Lenin heute nicht mehr so viel gelesen oder zitiert, aber sein steinernes Konterfei hat es allein mit seinen Ausmaßen als größte Porträtbüste der Welt ins Guinness Buch der Rekorde geschafft, während das Land aus nachvollziehbaren Gründen den Generalissimus Stalin fast ständig aus der bildhauerischen Kunstgeschichte getilgt hat.

Noch einmal gehen wir dann die Fußgängerzone der 400.000 Einwohnerstadt entlang. Hier befinden sich einige gut erhaltene Häuser aus dem 18. Jahrhundert. Eines, dies beherbergt heute das Stadtmuseum, gehörte einem reichen Händler und der letzte Zar soll während seine Sibirienaufenthaltes hier genächtigt haben.

Einen Ausflug wert ist das Freilichtmuseum, welches sich ein paar Kilometer außerhalb vor den Toren der Stadt befindet. Die großzügige Anlage gibt Einblicke in die Kultur und Traditionen der multikulturellen Einwohner der Region. Die Urbevölkerung, die Ewenken, ein indigenes Volk von Jägern und Rentierzüchtern hat sich seine Sprache und Tradition bis heute bewahrt. Gelebt haben die Ewenken in hüttenartigen Zelten aus Birkenrinde, die Winterzelte wurden noch einmal mit Fellen überzogen. Bis heute Züchten die Ewenken Rentiere und folgen einem halbnomadischen Lebensstil. Sie haben auch als einzige Volksgruppe die Genehmigung eine limitierte Anzahl der geschützten Baikalrobbe zu jagen. Von den Ewenken, diesem naturverbundenen Volk kommt auch der Schamanismus. Die Weißen Schamanen sind für Rituale des Alltagslebens zuständig, während die schwarzen Schamanen die bösen Geister vertrieben. Noch heute gibt es in den ewenkischen Siedlungen und auch unter den Burjaten Schamanen und auch moderne Menschen besuchen die „Geisterjäger“ um sich Rat zu holen.

Obwohl die Burjaten lediglich 30 Prozent der Bevölkerung ausmachen wurden sie zu den Namensgebern der Republik. Obwohl den Mongolen in Aussehen, Kultur und Tradition sehr ähnlich werden sie schon zu Dschingis Khans Zeiten als eigene Volksgruppe gezählt. Einstmals ein komplett nomadisches Volk wurden die Burjaten schon sehr früh, also im 17. und 18. Jahrhundert sesshaft. Sehr schön dokumentiert das Museum diese Entwicklung. Anfangs lebten die Burjaten ausschließlich in beweglichen Jurten, dann wurden hölzerne „Jurten“ errichtet für die Sommer- oder Winterlager und schließlich gingen die Burjaten komplett zu den Holzhäusern im russischen Stil über.

Die interessanteste Volksgruppe hier sind wohl die Altgläubigen oder Altorthodoxen. Im Jahre 1666 lösten sie sich von der russisch orthodoxen Kirche und bildeten ihre eigene Religionsgemeinschaft. Diese Gruppen bildeten im europäischen Teil jedoch eine Gefahr für den Zaren und seine Regierung, deshalb wurden Teile der Altorthodoxen aus den Regionen des heutigen Polens oder der Ukraine hierher verbannt. Anderen wurde der „freiwillige“ Umzug in die Region nahe gelegt. Mit ihrer entwickelten Ackerbautechnik und ihrem Fleiß konnten sie in Sibirien die Grundlagen für eine Agrarproduktion im europäischen Stil legen. Die Altgläubigen gelten unter den Russen als besonders fleißig, genügsam, gesund und robust. Die Frauen haben zwischen 10 und 20 Kindern zur Welt gebracht, laut bösartigen Witzeleien wegen ihrer Unterhosenfreien Bekleidung unter den Röcken und der gebückten Haltung auf dem Kartoffelfeld; einmal auf dem Kartoffelfeld Unkraut jäten und schon wieder schwanger!

Wichtig für die Region waren auch die Kosaken, Gemeinschaften freier Reiterverbände, die im Dienste des Zaren Anfang des 17. Jahrhunderts Sibirien kolonialisierten und bis zum Pazifischen Ozean vordrangen. Dabei gründeten sie Stützpunkte, aus denen später Siedlungen und heutige Städte hervorgingen…………….

Natascha hat uns viel zu den einzelnen Gruppen erklärt und morgen auf dem Rad sollten wir fit genug sein, burjatische, altorthodoxe und russische Gehöfte voneinander unterscheiden zu können. Bolschoi spassibo, dewuschka!

Auf dem Rückweg in die Stadt brauchen wir dann dringend eine Stärkung und besuchen ein burjatisches Lokal. Die Inhaberin ist Künstlerin und hat eine großartige kleine Ausstellung schweren Silberschmucks burjatischer Frauen. Bis zu 15 kg Schmuck sollen Burjatinnen haben anlegen können. Wir probieren Posui (gefüllte Teigtaschen und einen Brotaufstrich aus Roggenmehl und Sahne, leider gibt es keine Airag (Stutenmilch), das muss also nach bis in die Mongolei warten.

Auch am Abend besuchen wir ein burjatisch-mongolisches Restaurant und lassen uns gut bewirten, allerdings versuchen wir uns noch ein letztes Mal am Baikalfisch und gebackenen Teigtaschen, bevor es morgen dann nach Süden in Richtung der mongolischen Grenze geht.