110. Tag: Mittwoch, der 3. August 2011
Tantrischer Buddhismus und elektrische Tristesse
107 Kilometer von Ulan Ude nach Gusinoosersk, warme 25 Grad, angenehme 364 Höhenmeter, Besichtigung des buddhistischen Tempels in Iwolginski
Die Nacht war der reinste Horror, unter meinem Zimmer hämmerte die Techno-Mucke bis 5.30 Uhr, meine Freundin und ich haben keine Auge zu getan. Ich habe die Dame an der Rezeption vollgenölt, sie sagt, dass der Rum vermietet worden sei für die Nacht und das in einem Vier Sterne Hotel, tagsüber fährt die Straßenbahn faktisch durch Hotelzimmer, es fühlt sich a, wie ein Erdebeben der Stärke 4. Es wird wirklich zeit, dass wir wieder in zivilisierte Länder kommen.
Meine Freundin düst heute wieder nach Hause und muss dort weiter 3 Monate auf mich warten. Ich bin also nicht nur müde, sondern auch ein bisschen traurig, aber das vergeht auf dem Fahrrad recht schnell. noch einmal geht es am „burjatischen Lenin“ vorbei und dann heraus aus der Stadt.
Nach knapp 2 Stunden erreichen wir Iwolginki. Dort gibt es ein großes buddhistisches Kloster, die größte buddhistische Tempelanlage in Russland. Die Burjaten sind Anhänger des Vajrayana Buddhismus, des tantrischen Buddhismus, den es auch in Tibet gibt. Das erklärt auch das große „Om Mani Patme Hum“ Mantra auf einem Berge vor Ulan Ude. Wir brauchen knappe zwei Stunden, um uns hier satt zu sehen, denn es ist der erste Tempel auf unserer Reise. Auf einem Rundweg geht es im Uhrzeigersinn durch die Anlage und vorbei an Gebetsmühlen und den Wohnhütten der Mönche. Die Anlage ist noch recht neu, denn während der Sowjetzeiten war das Kloster geschlossen und wurde erst in den 90er Jahren wieder eröffnet. Dann kommen wir an kleinen schönen weißen Stupa vorbei und besichtigen die Tempel, die hier hauptsächlich Tara gewidmet sind, die ich in einer anderen Inkarnation aus Südchina als Guanyin, die „Göttin“ der Barmherzigkeit kenne und die einige der wenigen weiblichen Inkarnationen eines Boddhisattvas ist.
Wir freuen uns auch über die vielen „neuen“ Gesichter, denn zahlreiche Burjaten kommen zum Pilgern hierher und drehen ebenso ihre Runde, die streng gläubigen für jedes Lebensjahr eine. Bei dem Alter einiger unserer wackeren Truppe wären wir wohl hier eine ziemlich lange Weile beschäftigt.
Als wir dann wieder auf den Rädern sitzen steht die Sonne im Zenit und ballert ordentlich. Zum Glück bleiben uns heute länger Anstiege erspart, es geht immer im weiten Tal der Selenga entlang und die Landschaft ist sehr schön. Es gibt nicht mehr viel an Orten rundherum und wir sind froh, als wir gegen 14 Uhr eine Raststätte erreichen. Vorher gab es gerade einmal zwei oder drei Ortschaften, die auch nicht direkt an der Straße, sondern auch noch links oder rechts ein paar hundert Meter entfernt. Viel Verkehr gab es nicht auf der Straße und auch die Raststätte ist mit der Gruppe fast überlastet und wir plündern fast die gesamten Vorräte an Salat und Teigtaschen mit Hammelfüllung. Auch in der Suppe ist Schaffleisch, es geht also auch kulinarisch schon eher mongolisch zu.
Der Ausflug in den buddhistischen Tempel hat jede menge Zeit gekostet und so wird es recht spät, als wir in Gusinoosersk einziehen. Das Nest ist eine regelrechte Einöde. Einstmals gab es in der Umgebung viel Braunkohle, von denen heute noch ein paar Tagebaue zeugen und ein riesiges Wärmekraftwerk. Dadurch hat sich die Stadt entwickelt und große Wohnviertel mit Plattenbauten entstanden. Heute wirkt alles verwahrlost, viele Gebäude stehen leer, der Straßenbelag ist katastrophal und wir sind der einhelligen Meinung, dass hier ein prima Ort für die Verbannung wäre: Ödnis am Ende der Welt.
Am Abend haben wir ein leckeres Abendessen direkt im Hotel, in dem es nur eine warme Gemeinschaftsdusche gibt. Die meisten haben deshalb auf eine heiße Dusche verzichtet. Auch haben zwei meiner Reisenden ein wenig Darmprobleme und keinen großen Appetit
Nach dem Essen sitzen wir noch bis nach Mitternacht und diskutieren mit Julia, der Chefin des lokalen Reisebüros, wir das Land zu entwickeln sei. Einige meinen man müsse nur genügend Investitionsbedingungen schaffen und es würde hier recht gut laufen. Julia und ich diskutieren massiv dagegen, hier hat niemand Geld für irgendetwas, wer Initiative besitzt geht weg und alle anderen sind Alkoholiker. Es hat hier niemand Interesse an Entwicklung, die alte sowjetische Mentalität sitzt einfach noch zu tief. Prost!