84. Tag: Freitag, der 8. Juli 2011
Langer Ritt zum Mittelpunkt Russlands
193 km Marathonritt von Atschinsk nach Krasnojarsk durch die Berge des Altaiausläufers mit dicken 1100 hm, leichter Rückenwind, Sonne und Wolken bei idealradlerischen bis 17 Grad
Was für ein Tag! Als wir gegen 21 Uhr die letzte Hügelkuppe hinauf geklettert sind liegt die Stadt Kranojarsk vor uns und damit erreichen wir die geografische Mitte Russlands. Als die UdSSR noch bestand, war dieser bereits in Novosibirsk, aber mit der Schrumpfung des Reiches nach der Perestroika hat es sich hierher verlagert.
Die Sonne scheint auf die Berge und über dem Jenissej ragt ein steiler Felszahn in den Himmel. „Schöne Klippe“ heißt die Stadt deshalb auch.
Eigentlich hatten wir gar nicht geplant, heute schon in Krasnojarsk anzukommen, aber es lief seit dem Morgen recht gut. Mit einer Portion Milchreis im Magen kommen wir erst durch die Industriestadt Atschinsk und dann die ersten kräftigen Berge nach oben. Dort erwarten uns schöne Kiefernwälder, natürlich mit vielen Birken zwischendrin und ab und zu führt die gut ausgebaute Straße über kleine Flüsschen. Langsam hügeln wir uns auf 350 Höhenmeter nach oben, aber mit der leichten Rückenwindunterstützung radelt es sich mehr als leicht und nach jedem Hügel kommt eine berauschende Abfahrt. Manchmal ist die Straße wieder über mehrere Kilometer und Hügel schnurgerade und es wäre sehr anstrengend, hier bei Gegenwind entlangzukriechen.
Unseren Zielort Kosulka erreichen wir gegen Mittag nach 80 Kilometern, dort gibt es leckere Schichttorte, von der ich eine Runde spendiere, schließlich hatten wir in den letzten Tagen Halbzeit und haben es einfach verpasst. Wir überlegen hin und her, ob wir weiterfahren oder nicht. Bis nach Kranojarsk sind es noch 100 Kilometer und es wird weiter hügelich bleiben. Eine weitere Raststätte mit Hotel soll es aber dazwischen auch nicht geben. Hier sieht es in dem Motel aber auch nicht so toll aus und der Rückenwind unterstützt uns ebenfalls kräftig. Also, was soll es, rauf auf die Räder und zur Not haben wir die Zelte dabei. Kaum sitzen wir auf den Rädern schlägt der Plattfußteufel bei mir wieder zu, doch heute ist es ein Klassiker, kleine Glasscherbe, die Ursache ist schnell auszumachen und zu entfernen, Flicken auf den Schlauch und nach 20 Minuten rollen wir dann wirklich weiter gen Osten.
Mehr als wunderbar segelt es sich bis Kilometer 110, dann ist die Energie vom Kuchen aufgebraucht und wir kehren noch einmal auf russische Buletten und Kartoffelbrei ein und beschließen: Wir zelten nicht, sondern blasen durch bis nach Krasnojarsk, nur noch 60 Kilometer!
Besonders verwunderlich stimmt mich ein buddhistischer Chorten etwas entfernt auf einer Wiese. Wie kommt ein weißer Stupa hier nach Sibierien, mit fein säuberlich abgespannten Gebetsfahnen, bis Tibet oder zumindest in die Mongolei haben wir doch noch ein ganzes Stück zu radeln.
Und so kommt es, dass wir dann doch etwas müde den letzten Abstieg nehmen und in der abendlichen Sonne (es bleibt hier bis 23 Uhr hell!) ins Zentrum einrollen. Die letzten Kilometer vor der Stadt waren etwas stressig, denn uns rollte eine unendliche Kolonne von Wochenendausflüglern entgegen, die heute am Freitag die Stadt in Richtung Datscha verlassen. Doch dann kommt die Stadtautobahn und die Vorstadt. Hier gibt es kaum noch einen Menschen auf der Straße und die sozialitischen Ziegelbauten verbreiten eine fast gespenstische Athmossphäre. Die Leute sind ja auch vor zwei Stunden alle aus der Stadt ausgerückt; der rest scheint sich auf dem Zentralplatz zu versammeln. Hier hört man aus Lautsprechern klassische Musik, dazu sprudeln rhytmisch die Springbrunnen und ein Laser malt bunte Bilder in die feuchte Luft.
Wir haben aber kaum mehr ein Auge dafür, sondern lechzen der Dusche und dem Bett entgegen, ich erst einmal noch zwei Stunden dem Internet.