68. Tag: Mittwoch, der 22. Juni 2011
Dauerregen III
83 Kilometer von Golyshmanovo nach Ishim, ab Mittag wieder Regen, deshalb dann doch nach Ishim, Scheißhotel, 98 hm und 14 Grad bei gutem Rückenwind
Der Tag beginnt schon blöd. Die Nacht im winzigen Dreierzimmer war nicht sonderlich erholsam.
Der Plattfuß an Miriams Rad ist wieder da und wiederum ist die Ursache nicht auffindbar. Es kommt eine kleine raue Stelle an der Felge in Frage oder ein winziger Draht im Mantel, der sich nicht ertasten lässt. Gerhard will unbedingt einen neuen Mantel aufziehen und so werden wir die wirkliche Ursache nicht ergründen und fahren zudem einen 60 % abgefahrenen Mantel mit uns herum, von dem wir nicht wissen, ob er defekt ist oder nicht.
In der Stolowaja, also der Kantine gegenüber will man uns nichts zu essen verkaufen, zum einen ist das Menü sowieso schon auf fast nix reduziert, zum anderen hat die Dame am Tresen keine Lust mehr, sie habe heute ihren freien Tag und die Ablösung ist noch nicht da. Da ist es gerade 10 Minuten nach 8.
Zum Glück gibt es noch ein zweites Lokal und so beginnen wir den Tag mit einer Soljanka und etwas Brot. Am Abend vorher hatte ich gefragt, ob es möglich sei Milchreis für 5 Personen zu bekommen, die Antwort war ohne nachzudenken: „Njet!“
Ein paar Kilometer später kommt Barbara mit kreischenden Bremsen an, das klingt nach Metall auf Metall und die Felge hat auch schon gut einen Schrammen weg. Ich wechsele die Bremsbeläge und hoffe nur, dass die Felge noch bis zum Ende der Reise hält.
Die Landschaft ist wieder genau so monoton, wie schon in den letzten beiden Tagen davor. manchmal kann man den Horizont ganz weit weg hinter den trüben Nebelschwaden erahnen. Weite Wiesen oder Felder auf denen aus irgendwelchen grüne Erbsen angebaut werden, Erbsen, Erbsen, Erbsen soweit das Auge reicht. Dazwischen dann Grüppchen von Birken und seltener Kiefern, manchmal sogar ein richtiger Birkenwald. Im letzten jahr war der Sommer zu heiß, so dass es in vielen Regionen zu Waldbränden kam. Häufig sehen wir Birkenwäldchen, in denen die Stämme bis auch fünf Meter angekohlt sind und oben wird es dann wieder schwarz-weiß und grün. besonders bei Regen legt sich die Weite der Landschaft aufs Gemüt und ich packe meinen MP3 Player wieder aus und stöpsele mich an Musik.
Es sieht zwar schon wieder nach Dauerregen aus, aber es bleibt am Morgen erst einmal trocken. Wir kommen noch ohne Regensachen bis kurz vor Ischim und in die dortige Raststätte. Dort haben wir reichlich Mittag und die Suppen und Salate sind seit langen wieder einmal recht gut. Eine gute Basis für die nächsten 65 oder 70 Kilometer, die wir noch beschließen.
Leider fängt es an zu regnen und so wackelt an der nächsten Kreuzung der Beschluss und fällt der Demokratie zum Opfer, dabei sind wir eh schon nass. Also fahren wir in die Stadt und treffen auf die nächste Enttäuschung des Tages – unser Hotel. Unverschämte Preise für unrenovierten Sozialismus, 70 € für ein Doppelzimmer mit grenzwertigem Badezimmer und immerhin noch knappe 20 € für ein Bett im winzigen Dreibettzimmer ohne Bad. Also ist heute wieder Jugendherberge angesagt.
Die Stadt gibt nicht viel her. Eine verbliebene Stalin Statue sehen wir uns morgen früh an, die soll etwas außerhalb sein. Das Zentrum bildet die Karl Marx Straße, hier versucht man so etwas wie eine Promenade zu gestalten, doch wo man noch nicht fertig ist mit den Pflaster- und Gestaltungsarbeiten bröckelt schon wieder der Putz, die Bauausführung ist mehr als schlampig (wir haben den Fachmann dabei!), überall sammelt sich Regenwasser und es liegt Bauschutt herum.
Auch Restaurants gibt es keine, nur wieder ein Bistro mit Plastikassietten und Plastiklöffel und Gabeln. Die Frage nach einem Messer trifft auf Unverständnis, aber als ich betone, dass ich meine zähe Krautrollade nicht mit den Fingern zerreißen will, bekomme ich dann ein Messer mit 25 cm Klingenlänge aus der Küche.
Dann geht es zurück zum Hotel und schreibe noch etwas misslaunig meine Berichte, mal überlegen was morgen alles noch schlechter werden kann, bevor wir uns die Sprungfedern der Matratzen in den Rücken bohren.