46. Tag: Dienstag, der 31. Mai 2011
Über die Wolga
140 Kilometer von Nishny Novgorod nach Lyskowo und dann noch bis Lwowo, auf sehr schöner Nebenstraße bis nach Makarewo, dann mit der Fähre über den Fluss, sonnig bei 22 Grad
Da Nowgorod auf dem erhöhten Wolgaufer liegt, sehen wir noch lange die Silhouette der Stadt. Die Kuppeln der Sakralbauten im und um den Kreml leuchten und glitzern golden in der Morgensonne. Aus der Stadt heraus fahren wir durch die sozialistischen Vororte, Plattensiedlungen aus den 70er und 80er Jahren. Allerdings auch hier ist die Sanierungswelle schon über die Gebäude gerollt, ich bedauere es ein wenig, denn ich wollte noch ein paar wunderbare schwarz/weiß Aufnahme von tristester Platte haben. Naja, vielleicht klappt es auf der anderen Seite des Urals. Allerdings darf man nicht zu nahe hinsehen, denn so mancher Schutthaufen, der zwischen den Gebäuden schon 15 Jahre lagert ist inzwischen vom Löwenzahn überwachsen und viele Wege sind und werden wohl ewig Trampelpfade bleiben. Es ist halt die ewige russische Schlamperei. Als wir vorgestern im Hotel eingecheckt hatten und sich der Prozess ewig hingezogen hat, meinte ich zu Barbara, dass ich jetzt begriffen habe, warum die Chinesen und die Vietnamesen die Russen wieder aus dem Land rausgeschmissen haben. Und es ist wirklich so, während seit meiner ersten großen Tour vor 19 Jahren Russland schon genauso vor sich hin dümpelte, war China damals noch ein Wüste in vielen Beziehungen. Heute hat China Russland weit zurück gelassen, was Industrialisierung, Landwirtschaft, Lebensstandard (der breiten Masse), Infrastruktur ganz besonders, sowie Tourismus und Service betrifft. Und Vietnam, das ja schwerere Vorraussetzungen und einen noch späteren Start in den Pseudokapitalismus hatte ist auf dem Wege mit mächtigen Schritten.
Wir holpern dann also mit sehr viel Verkehr aus der Stadt, biegen dann aber auf eine kleine Straße ab. Diese führt uns 80 Kilometer nur durch kleine, schöne Dörfer, Birkenhaine und Kiefernwälder. Es ist sooo erholsam nicht auf der schrecklichen M7 zu brettern, wo man jedes Auge für die Landschaft verliert, weil man sich nur auf den schmalen Seitenstreifen und die Löcher konzentrieren muss.
In Makarewo gibt es ein großes Kloster direkt an der Wolga, leider verpassen wir die Führung und so können wir nur in dem verwilderten garten herumlaufen. Auch hier wieder der Widerspruch. Die Kuppeln der Kathedrale sind vergoldet und zwischen den Gebäuden sammelt sich der Müll und einige Nebengebäude sind am Zusammenbrechen.
Wir haben Glück, es gibt hier eine Föhre über die Wolga und die fährt sogar eine Stunde später. Bis dahin liegen wir noch ein wenig in der Sonne, nachdem wir den nahe liegenden Laden geplündert haben.
Die Überfahrt dauert 45 Minuten und niemand kommt kassieren, erst beim Verlassen des Kahns stoppt uns die Schiffsmatrone mit stinkiger Laune, wo unsere Tickets seien, der Kommunismus sei vorbei. Wegen der Fahrzeuge auf dem Schiff hatten wir das Kassenhäuschen nicht gesehen. Wegen des rauen Tones der Dame, spielen wir kurz mit dem Gedanken, einfach aufzusteigen und weiter zu radeln, hinterlassen dann aber doch unsere 25 Rubel pro Rad.
In Luiskowo gibt es ein sehr schäbiges Hotel, ohne Dusche und mit Gemeinschaftstoilette, betrieben von zwei Damen, die hier auch schon mindestens 20 Jahre arbeiten oder besser: Dienst schieben. Als ich nach einer Karte oder Telefonnummer frage (ich sammle ja die Adressen für die nächste Tour), dreht sich die eine um und fragt ihre Partnerin: „Sag mal, ham’ wir hier Telefon?“-„Was fürn Telefon?“ Schnell verabschiede ich mich und empfehle noch das Hotel-Schild gegen ein Museums-Schild auszutauschen.
Noch einmal folgen 30 freudlose Kilometer auf der M7, die Trucks blasen an uns vorbei und der Krach ist unglaublich. Nach der guten Erfahrung mit der Nebenstrecke muss ich mir etwas einfallen lassen, aber so richtige Parallelstrecken gibt es nicht und so erhöht sich immer gleich die Kilometerzahl massiv, der Weg am Nordufer der Wolga heute war bestimmt 30 bis 35 Kilometer länger als der Highway.