22. Tag: Samstag, der 7. Mai 2010
Kühler Sonnentag in Riga
Ruhetag in Riga mit Stadtbesichtigung
Auch Riga ist eine Stadt mit vielen deutschen Wurzeln und Traditionen. Gegründet wurde sie im 12. Jahrhundert von Kaufleuten, die hier am Unterlauf der Daugava Handel trieben. Durch die strategisch günstige Lage ließ sich von hier der gesamte Ostseeraum gut ansteuern und über die Flüsse auch Handel mit dem Inland treiben.
Die Handelstraditionen haben auch das Stadtbild geprägt, so gibt es tolle Lagerhäuser. Über Flaschenzüge konnten die waren bis zu fünf Stockwerke hochgehievt werden. Einige Häuser sind noch nicht renoviert und man kann sich vorstellen, wie Pferdefuhrwerke über Kopfsteinpflaster holpern und dann schwere Säcke mit waren aus dem gesamten Europa nach oben und wieder herunter geholt werden. Die handwerker waren in Gilden organisiert und haben ihre eigenen Handelshäuser errichtet, je nach Größe der Zunft waren die Häuser mehr oder weniger prachtvoll. Am Markt befinden sich die Häuser der sogenannten kleinen Zünfte. Die Gebäude der großen Zünfte haben dann schon fast palastartigen Charakter. Besonders beeindruckend ist das Schwarzhäupterhaus für die unverheirateten Kaufleute, eine „Zunft“, die es nur in Nordosteuropa gab. Obwohl komplett zerstört, wurde das Gebäude im Stil der Niederländischen Renaissance wieder aufgebaut und strahlt nun in neuem Glanze.
Die russisch-orthodoxe Kathedrale hat heute auch geöffnet, beeindruckend sind die Malereien und die Ikonen. Bei diesen Kunswerken sind besonders die Gesichter, meistens Marien- oder Jesusdarstellungen, besonders fein gearbeitet und dann oft in ein Goldrelief eingearbeitet. Auch breitet sich im ganzen Raum der schwere Duft von Weihrauch aus.
Im Dom gibt es täglich um 12 Uhr ein 20 minütiges Orgelkonzert, aber die Eintrittspreise sind unverschämt hoch, 8 Euro werden kassiert. Karin taucht in einer Reisegruppe unter und ist drinnen und ich entdecke eine nur durch einen Vorhang von der Haupthalle abgetrennten Gebetraum. Hier sind wir dann ganz alleine und haben trotzdem die gesamte pompöse Akustik.
In der lettlischen Hauptstadt prallen die sozialen Unterschiede hart aufeinander, härter als ich es anderswo in Europa gesehen habe. Vor den Kirchen stehen reihenweise verhärmte alte Mütterchen mit Bettelschalen, aber auch reichlich Behinderte finden sich in der gesamten Stadt zum betteln. Dazu kommt dann auch noch eine große Anzahl sehr rotnasiger Männer und manchmal Frauen, die ihren Bettelstand gleich in der Nähe des nächsten Schnapsladens aufgebaut haben.
Der Gegensatz dazu sind die neureichen Letten und Russen in großen Autos, schicken Klamotten, die die Fußgängerzone besiedeln und keine Probleme mit den überhöhten Preisen in den Cafés und Restaurants haben. Souvenirhändler handeln hier hauptsächlich mit Bernstein und Matroschkas, den russischen Holzpüppchen, die ineinander gesteckt werden können. Von der klassischen Figur bis hin zur Madonna, Putin oder Beckham-Matroschka ist alles zu haben, ich vermisse lediglich die Ossama Bin Laden Ineinandersteckfigur.
Zahlreiche Straßenkünstler mühen sich redlich ihren Schnitt vom Neureichtum abzubekommen, auch eine Gruppe von Punks mit dem Motto: „Help the Punk to get drunk: 1 Foto 1 Let!“
Einige Leute spielen Instrumente, aber Eindruck schindet nur eine Kapelle von Bläsern mit feurigen Rockadaptionen, die alle in Hausfrauenkostümen auftreten. Auch nicht ganz schlecht weg kommt ein Flötist in einer kleinen Gasse, obgleich des schrecklichen unendlichen Gedudels von „La Plaoma ole“; er hat sich ein paar Brotkrumen auf den Arm gestreut und so sitzen die Tauben während des Spieles auf ihm herum. Also auch hier in Letland zählt nur die Vermarktungsstrategie. Und auch auf eine Gruppe von „Dinosauriern“ treffen wir, vielleicht 20 Leute in nachthemdähnlicher Kleidung mit Trommeln und Ziehharmonika und „Haare Krishna, haare Krishna“ singend durch die Stadt ziehend. Wer hätte gedacht, dass es so etwas noch gibt.
Wir pilgern zu den riesigen Markthallen. In der ersten Halle nur Fisch und Kaviar, verschiedenste Sorten und Größen und Qualitäten der Fischeier. Für das morgige Abendessen nehme ich hundert Gramm einer mittleren Qualität roten Forellenkaviars mit und etwas Räucherfisch, der lecker aussieht, aber nur so vor Fett trieft.
In der nächsten Halle gibt es frisches Gemüse, dann kommt eine Halle mit Honig, Bienenwachs, sowie Marmeladen und Konfitüren, dann geht es weiter mit einer Fleisch und einer Käsehalle. Hier lässt es sich gut eine Stunde schlendern und gucken.
Auch draußen stehen dann noch unzählige Händler mit Gemüse und Kartoffeln, sowie Waren des täglichen Bedarfs. Aber auch hier vor dem Markt eine lange Reihe mit Bettelnden und alten Mütterchen die drei Paar hangestrickte Socken auf einer Zeitung zum Verkauf anbieten.
Am frühen Abend ziehen wir dann in ein kleines Lokal, Favorit ist wieder marinierter Hering mit Kartoffeln, ich nehme heute Kartoffelpuffer mit Schweinefilet, letzteres mit Kreuzkümmel mariniert, keine schlechte Variante, sollte man einmal probieren. Am Abend begebe ich mich noch ein wenig in die Tiefen des Internets, obgleich die Berichterstattung sich ja nur noch um Bin Laden dreht. Mit etwas Häme nehme ich zur Kenntnis, dass die Uni dem Kopierminister nun doch Vorsatz bei der „Erstellung“ seiner Doktorarbeit nachgewiesen hat.