71./72. Tag: 6./6. Juni 2009 „Der meist bestiegene Berg der Welt“
75 Kilometer von Qufu nach Tai’an auf schneller Schnellstraße und nächtliche Besteigung des Taishan Berges
Viele der chinesischen Provinzen rühmen sich vieler Sehenswürdigkeiten, Persönlichkeiten und Landschaften, die Provinz Shandong hat nur einen berühmten Berg, einen bekannten Fluss und einen großen Heiligen. Dafür aber in allen Beziehungen eine Spitzenposition, gestern standen wir an der Wiege des wichtigsten Gelehrten des Landes, Konfuzius, irgendwann werden wir noch den Gelben Fluss, die „Mutter“ der Chinesen überqueren und heute geht es nach Tai’an. Dort liegt der wichtigste unter den heiligen Bergen Chinas der Taishan. Er ist weder der schönste, noch der höchste, dafür aber der meist bestiegen, zahlreiche Kaiser sind hinauf geklettert (oder getragen worden?) und ansonsten jede Persönlichkeit der chinesischen alten, mittleren und neuen Geschichte.
Uns trennen noch 80 Kilometer vom Ziel und die wollen wir schnell zurücklegen, also suchen wir gar nicht nach ruhigen Nebenstraßen, sondern nutzen die frische Briese von hinten und die sechsspurige Trasse. Schon um 6.30 Uhr sind wir aufgebrochen und es ist gerade einmal 12 Uhr, als wir in die Stadt Tai’an einrollen. Frühstück gab es erst nach 40 Kilometern und es macht schon Spaß, einmal so schnell die Tagesstrecke abzuspulen.
Wir entschließen uns zu einer nächtlichen Bergbesteigung, um am Morgen den Sonnenaufgang sehen zu können und so bleibt Zeit für einen Mittagsschlaf und für die Arbeit am Computer. Es haben sich jede Menge Mails angesammelt und über Skype kann ich mit den Kids telefonieren.
Gleich gegenüber dem Hotel befindet sich ein Jiaotze Restaurant und es gibt drei verschieden Sorten und ein paar kalte Gerichte, danach habe ich leichte Bettschwere und das ist ganz gut so, denn ich kann bis Mitternacht schlafen.
Da Hubert im Hotelzimmer über die Teppichkante gestolpert ist und einen dicken blauen Fußzeh hat, beschließt er nicht mit auf den berg zu kommen. Barbara und ich fahren mit dem Taxi zum Ausgangspunkt für die Bergbesteigung und von dort geht es mit einem Bus den halben Weg nach oben zum mittleren Tor. Das liegt ungefähr bei 900 Metern Höhe, bleiben noch gute 600 Meter zu klettern.
Während es unten an der Busstation noch ruhig zuging, sammelt sich jetzt hier schon jede Menge wanderlustiges Völkchen. Vor allem viele junge Chinesen, Pärchen und kleine Grüppchen sind unterwegs um die unzähligen Treppenstufen nach oben in Angriff zu nehmen. Steil geht es nach oben und recht schnell trennt sich die Spreu vom Weizen, die schwer keuchenden suchen schon nach den ersten 300 Stufen nach Rast und Erfrischung. Die gibt es am Wegesrande zu Hauf, Taschenlampen für die Dunkelheit, Wanderstöcke und Räucherstäbchen finden guten Absatz. Aller 200 Stufen gibt es einen Imbisstand mit Instantnudeln, Gebäck, gekochten Eiern, Keksen, Wasser und Bier. Man ist hier auf fast jeden Trottel eingerichtet und sogar die Lady, die vorhatte in Stöckelschuhen nach oben zu pilgern wird mit bequemen chinesischen Taiqi-Schuhen nachgerüstet.
Auf halbem Wege nimmt dann die Anzahl der Rastenden zu und jeder verfügbare Stein am Wegesrand und jede Bank belegt. Auch Barbara und ich kommen ordentlich ins Schwitzen, denn die Stufen sind steil und anstrengend und natürlich nicht DIN genormt und so sieht es wohl morgen nach einem ordentlichen Muskelkater aus.
Oben auf der Bergsation sind schon hunderte von Leuten versammelt, wir sind die einzigen beiden Ausländer und es ist merklich kühl. Aber auch hier stimmt die Versorgungsstruktur, während wir unsere Jacken auspacken, leihen sich die Chinesen einfach einen schweren grünen Armeemantel. Gegen 1 Uhr waren wir am mittleren Tor gestartet und brauchten gute zwei Stunden für den Weg; bis zum Sonnenaufgang dauert es noch eine gute Weile und diese Zeit nutzen die meisten noch für ein Nickerchen. Barbara und ich machen ein Restaurant mit überteuertem Kaffee ausfindig, aber das dünne Getränk wärmt wenigstens ordentlich und gegen 4 Uhr geht es dann auf die letzten Meter bis zur Aussichtsplattform für den Sonnenaufgang.
Erst jetzt wird klar, wie viele Leute hier jeden Tag hochpilgern, auf alle Fälle über 1000 Leute starren gebannt auch den langsam heller werdenden Silberstreifen am östlichen Horizont. Um 4.40 Uhr ist es dann soweit und ein großes „Aah“ geht durch die Massen, die Sonne bohrt glutrot ihre ersten Strahlen in den jungen Tag und die digitale Orgie beginnt.
Langsam kommt die Sonne zum Vorschein und überall gibt es verzückte Gesichter, selbst der Große Vorsitzende Mao Tze Tong konnte sich seinerzeits einer gewissen Bewunderung nicht enthalten und prägte hier den Spruch mit mehrfacher Bedeutung: „Dong fang hong le- der Osten ist rot“.
Nach einer halben Stunde steht dann die Sonne flach am Horizont und dann beginnt wieder der große Aufbruch, viele pilgern dann noch zu den umliegenden Tempeln, um ihre Räucherstäbchen zu verbrennen und den Himmel um Glück, viel Geld, noch mehr Geld, Kinder; und vor allem einen Sohn zu bitten.
Barbara und ich, wir machen uns wieder auf den Rückweg, die Stufen wieder hinunter und das ist fast noch anstrengender als der Weg herauf. Inzwischen kommen auch die Chinesen den berg hinauf gekrochen, die es bis zum Sonnenaufgang nicht mehr geschafft haben und die Lastenträger beginnen ihr Tageswerk und schleppen schwere Bündel mit Lebensmitteln, Getränken und Räucherstäbchen.
Jetzt im Tageslicht zeigt sich auch die Faszination des Weges, hundert Meter lange Treppenstiegen dicht am felsigen Berg und überall gibt es eingemeiselte Kalligraphien. „Die Flüsse sind lang und die Berge hoch“ sinnsprüchelt es von rechts und von links werden wir belehrt, das Nichts unvergänglicher ist als der Taishan.
Wir haben Glück und erwischen um 7 Uhr schon den ersten Bus ins Tal und sind eine Stunde später im Hotel. Dort wartet das Bett und ein paar Stunden Schlaf.
Am Nachmittag wollte ich eigentlich am Computer arbeiten, aber vorher wollten Hubert und nur mal schnell meinem Computer einen chinesischen Schriftsatz verpassen; nach drei Stunden sind wir dann aber keinen Schritt weiter gekommen und ich bin etwas demotiviert, so dass ich mich dann auch nach dem Abendessen nicht noch einmal zu meiner Schreibarbeit aufraffen kann, sondern gleich wieder im Bett verschwinde.