Mittwoch, 6. August 2008, vom Tengwudujiacun nach Beijing, 65 Kilometer, 87 Höhenmeter: „Einfahrt ins Olympiaparadies“
Nur noch 40 Kilometer trennen uns vom Ziel unserer Reise, nur noch 40 Kilometer bis zum Zentrum Beijings und nur noch 40 Kilometer bis zum Platz des himmlischen Friedens. Hinter uns liegen dann 14.000 Kilometer, bei dem einen oder anderen ein paar weniger, ich habe heute 12.890 km auf dem Tacho stehen, was daraus resultiert, dass ich drei Tage krank war und drei oder vier Tage mit Uli und Rosemarie auf dem Krankentransport unterwegs war. Unser eisernster Fahrer war letztlich Robert „Hütchen“, der keinen einzigen Tag auf dem Bus verbracht hat.
Dementsprechend spät können wir heute losfahren. Es dauert eine Weile, bis das Gepäck auf die beiden Fahrzeuge verteilt und verstaut ist, denn unsere Busfahrer mussten wir ja schon gestern verlassen, da unsere beiden Busse keine Zulassung für den Citybereich Beijing haben.
Alle haben gestern noch einmal T-Shirts gewaschen, so dass wir heute einheitlich in Weiß in die Stadt rollen werden, die eine Hälfte in unserem selbst entworfenen Athen-Beijing Shirt und die Teilgruppenteilnehmer in den Farben von China by Bike.
Gleich hinter dem Hotel geht es noch einmal einen Hügel hinauf und wenn nicht das ewige trübe Beijinger Sommerwetter wäre, hätten wir von hier wohl schon die Silhouette der Metropole erahnen können, aber so ist alles nur grau in grau.
Die Stimmung ist jedoch super, alle sind bester Laune und wir fahren heute betont langsam und vorsichtig, ein Massensturz auf den letzten Kilometern wäre eine Katastrophe und wer weiß, wie der Verkehr in Beijing sein wird. Hier am sechsten Ring ist jedoch nichts los, so wenig sogar nur, dass man sich vorkommt wie im hinterletzten Dorf von Mecklenburg Vorpommern. Wir nutzen dies um in lockerer Formation zu fahren und kommen dann auch langsam an den Stadtrand. Wo letztes Jahr noch Bauschutt und Schlamm vorherrschte ist jetzt superglatter sechsspurige Flüsterasphalt und wir kommen reibungslos vorwärts.
Alles ist auf Olympia getrimmt, überall wehen Olympiafahnen und Banner aller Größen und jeder dritte Chinese trägt ein T-Shirt, das irgendetwas mit der Olympiade zu tun hat. Alles ist sauber geputzt worden, zumindest sieht man am Straßenrand keine der berühmten chinesischen Dreckecken und auch die größten Luft verschmutzenden Fabriken in der Umgebung laufen nur im gedrosselten Betrieb. Der Verkehr wurde stark reduziert, heute dürfen nur Fahrzeuge mit gerader Nummer fahren und morgen nur die ungeraden. Hohe Umweltauflagen gelten für alle Fahrzeuge, so dass man keine Traktoren und Trucks auch nur in der Umgebung der Stadt sieht. Und die Bemühungen machen sich bezahlt. Zwar hängt eine Dunstglocke über der Stadt, aber kein Smog, die Luft ist sauber und man kann gut atmen und das ist bei weitem nicht immer so hier.
In der Stadt ist dann etwas mehr Verkehr, aber doch deutlich weniger, als ich von Beijing gewohnt bin und die Autofahrer sind betont freundlich und nett und keiner versucht sich durch die Gruppe zu drängeln, sollten die breiten Aufklärungsfeldzüge der chinesischen Regierung doch gefruchtet haben:“ Seid freundlich und nett zu den Gästen, unterhaltet euch, aber vermeidet die 8 Themen“, mal sehen ob ich sie noch zusammen bekomme: Politik, Alter, Familiensituation und Partnerschaft (also Sex), Innenpolitik, Außenpolitik…mehr fällt mir nicht mehr ein, bleibt also nur noch das Wetter und die Börse als Thema übrig.
Langsam erreichen wir die Innenstadt und es mischen sich ein paar chinesische Radler unter uns. Auch Uli, der ja in Xinjiang seinen schweren Unfall hatte, reiht sich heute wieder ein, um mit uns die letzten Kilometer zu rollen. Und schon sind wir auf der Changanjie, der großen West-Ost Hauptachse durch die Stadt und wir rollen am Tor zum Zhongnanhai vorbei, der Park in dem die höchsten Personen der chinesischen Regierung residieren und dann kommt das Tor des himmlischen Friedens in Sicht, rechts neben uns das Abgeordnetenhaus im stalinistischen Baustil. Hier hat die Straße nun mehr als 8 Spuren in beide Richtungen und wir können uns weit auffächern und dann geht es rechts ab und wir drehen eine Runde um den Platz des himmlischen Friedens, nach Süden runter bis zum Qianmen und dann auf der anderen Seite wieder nach Norden bis vor das Historische Museum.
Hier stehen schon hunderte Chinesen vor der großen Uhr, die rückwärts auf den beginn der olympischen Spiele übermorgen Abend 8 Uhr zählt. Hier will jeder noch ein historisches Foto machen und wir natürlich auch. Mehrere Fernsehteams erwarten uns und die Chinesen und Ausländer auf dem Platz laufen sofort zusammen und so wird es eine sehr herzliche Begrüßung und wir werden mit Applaus überschüttet, als bekannt wird woher wir geradelt sind.
Überglücklich steigen wir von den Rädern und fallen uns in die Arme und dem einen oder anderen stehen die Tränen in den Augen und ich kann es kaum Glauben, dass wir wirklich unser Ziel erreicht haben. Was machen wir dann morgen, wenn wir nicht mehr aufs rad steigen müssen. Doch die Sektkorken reißen mich aus den Gedanken und lassen nur noch eines zu, nämlich Party. Roter klebriger Sekt spritzt in die Luft und über uns Radler und der ARD-Kameramann reißt seine Kamera in letzter Sekunde aus dem Strahl der klebrigen Flüssigkeit.
Dann beginnen die Fotoorgien, in die sich immer mehr Chinesen mischen und am Rande laufen rasende Reporter entlang und versuchen ein paar Interviews zu machen.
Nach einer knappen Stunde wechseln wir noch einmal den Platz und fahren direkt vor das Tor des himmlischen Friedens. Auch hier dürfen wir ungestört von den Rädern steigen und fotografieren, obwohl hier fast die höchste Sicherheitsstufe gilt, aber ein Polizist, der freundlich auf mich zukommt, will nur wissen, woher wir geradelt sind wie lange wir hier bleiben wollen und gratuliert dann zum erfolgreichen Abschluss der Fahrt.
Inzwischen ist es früher Nachmittag und wir haben noch einen Termin in der Deutschen Botschaft und bis dorthin radeln wir freudentrunken, aber ein paar kleine Schlenker kommen wohl auch von dem billigen Sekt.
Die Botschaft sieht aus, als ob in der oberen Etage Wasser ausgelaufen ist, welches dann eingefroren ist, dies erweist sich aber als eine Installation, welches ein locker dahin geworfenes T-Shirt darstellen soll.
Vor der Botschaft steht schon ein großer roter „Avanti“ Bus, der mit 27 Leuten von Freiburg hierher gereist ist und der Fahrer ist natürlich ein alter Bekannter von uns. Relativ schnell werden wir alle in die Botschaft eingelassen und der Botschafter hält eine kurze Ansprache und heißt uns in der Stadt der olympischen Spiele herzlich willkommen. Er teilt unsere Meinung und Enttäuschung über deutsche Medien und Politik, die immer wieder auf Reizthemen wie Menschenrechte und Tibet fixiert sind und dabei die Fortschritte, die der chinesische Staat in alle Richtung macht, aus den Augen verlieren.
Im Garten der Botschaft gibt es dann Kekse und (lauwarme) Getränke (erwartet hatten wir ein kaltes HefeweizenL) und wie haben ein paar nette Gespräche mit Mitarbeitern der Botschaft und weitere Interviews und irgendwann wird es zeit, endlich ins Hotel zu fahren und den Schweiß und die Sektreste vom Körper zu spülen.
Letzter Programmpunkt am Abend ist dann die berühmte Pekingente, zu der uns China by Bike auf den erfolgreichen Abschluss der Tour einlädt. Pekingente ist nicht einfach nur Ente, erkläre ich unseren Teilnehmern sondern eine spezielle Mastente, 24 Stunden in Honig und Sojasoße und Gewürzen mariniert und getrocknet und dann über Kirschbaumholz gebraten. In kleine Pfannenkuchen werden nur die Haut und eine dünne Fleischschicht, dazu Gurken und Zwiebeln und eine dunkle Bohnensoße eingewickelt und gegessen. Alle anderen teile werden zu zahlreichen Gerichten verarbeitet, die vorher und nachher gereicht werden. Ein großes lob an Volker bei der Auswahl des Restaurants, denn es ist die leckerste Pekingente, die ich je hatte. Gegen 22 Uhr sind wir alle todmüde und dann geht es in Taxis zurück ins Hotel und ab ins bett. Ich für meinen Teil bin so müde, dass ich keinen Moment mehr Zeit habe, um mir die zahllosen Ereignisse des Tages noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen.