Dienstag, 8. April 2008, von Telavi über Gremi nach Sighnachi, 95 Kilometer, 986 Höhenmeter: “Begegnungen im Fliederduft“
Nachdem es nachts noch geregnet hat, strahlt die Sonne. „Das ist georgisches Wetter!“ sagt Leo. „von den Russen wurde das Land deshalb auch immer ‚solnitschnaja Grusja’ (sonniges Georgien) genannt’. Wie schön es sein kann, sehen wir schon vom Parkplatz des Hotels aus. Eine lange Front des Großen Kaukasus bestimmt das ganze Panorama hinter der grünen Ebene, über mehrere zehn Kilometer nur schneebedeckte Berge. Wir sausen die letzten Meter ins Tal hinab, aus Telavi heraus und entlang geht es einer wunderschönen Buchenallee, die die Straße mehrere Kilometer säumt. In den kleinen Ortschaften blüht der Flieder, den man schon über hundert Meter riechen kann. Dann taucht vor der Bergkulisse eine alte Festung auf, ein herrliches Fotomotiv von allen Seiten. Natürlich parken wir unsere Räder und besichtigen die alte Festung und die Kirche darinnen. Vom obersten Türmchen hat man den Blick nach allen Seiten. Kein Feind konnte sich hier nähern ohne schon von weitem gesehen zu werden. Während wir noch den Erläuterungen in der Kirche lauschen, gesellt sich ein Radfahrer zu uns, der nicht zu unserer Gruppe gehört. Er ist Pole und sozusagen die Vorhut, der litauischen Gruppe, die fast zeitgleich mit uns und ebenfalls in Athen gestartet ist. Von oben lässt sich dann gut beobachten, wie sich ab und zu wieder ein Radler nähert und dann auch das Begleitfahrzeug der anderen Gruppe. Dann stehen wir alle unten und plaudern, machen ein großes Gruppenbild und ein paar Leute der „litauischen Gruppe“ fahren ein paar Kilometer zusammen mit uns. Organisiert ist die Tour von einer Organisation namens „Baltic Cycle“, die auch schon andere große Touren veranstaltet hat. In diesem Jahr haben wir zwar fast die gleiche Route, allerdings ist das Gesamtkonzept doch verschieden. Die Fahrer haben den Hauptteil des Gepäckes am Fahrrad und übernachtet wird meistens im Zelt oder Gruppenunterkünften und Turnhallen und kaum in Hotels und Guesthäusern. Von uns hat man auch schon gehört und wir werden als die „Luxustour“ bezeichnet.
Wieder auf dem Rad gesellen wir uns trotz verschiedener Konzepte zusammen und tauschen Ideen, Erfahrungen, Pläne und kleine Sorgen aus, es ist für alle ganz erholsam, einmal andere Gesprächspartner zu haben.
Mittagspicknick machen wir auf einer kleinen Wiese neben der Datscha eines Weinbauers, der natürlich gleich mit einer Flasche selbst gebrannten Tresterschnapses zu uns kommt. Einige von uns müssen ein Gläschen leeren und ich gleich mehrere, nur weil ich Russisch sprechen kann; und niemand kommt mir zu Hilfe.
Weiter geht es durchs Hauptweinanbaugebiet Georgiens und etwas weiter wird Heino von einer Gruppe älterer Mädchen weggefangen, die am Rande des Feldes feuchtfröhliche Mittagspause halten, jetzt muss Heino viel Rotwein trinken und hat gute Chancen sich sofort an Ort und Stelle mit einer 50jährigen Dame zu verloben.
Am Rande eines Schrottplatzes und Gebrauchtwagenhändlers treffen wir uns wieder. Der Besitzer hat eine Leidenschaft für alte Fahrzeuge und wir bestaunen einige gut restaurierte Fahrzeuge, ein „Simka“ aus den 50er Jahren kostet 10.000 Dollar, aber der Händler möchte nicht gegen mein Fahrrad tauschen, er habe Herzprobleme, sagt er, die Zigarette im Mund.
Weiter geht es durch größere Dörfer unter viel Fliederduft, wir fühlen uns wie auf einer „Tour der France“. Die Leute sitzen in der Abendsonne vor unseren Häusern und jubeln uns zu. Hier und da mache ich kurz Stop für ein kurzes Wohin und Woher, dann müssen wir weiter.
Der Schock kommt am letzten Abzweig nach Sighnachi, die Stadt liegt noch einmal 500 Höhenmeter höher und wir kämpfen uns in den letzten Strahlen der Abendsonne nach oben. Dort erwartet uns nicht nur eine tolle Aussicht, sondern ein heimeliges Städtchen mit einer schönen Stadtmauer. Nach etwas Durcheinander bei der Verteilung auf die drei Häuser sitzen wir dann gegen 8 Uhr beisammen beim Abendbrot bei der Familie, es ist herzlich und reichlich wie immer und es fließt genau so viel Wein, wie in den letzten Tagen und ich finde, ein guter Ausklang für unseren leider schon letzten Tag in Georgien, einem Land mit herzlichen Menschen und einer Gastfreundschaft, wie ich sie kaum zuvor kennen gelernt habe, auch wenn uns das schönste Wetter erst am letzten Tage ereilt hat.