Sonntag, 30. März, von Ardesen über die Grenze nach Batumi, 90 Kilometer, 245 Höhenmeter


Die letzten 50 Kilometer Türkei geht es noch einmal die Autobahn entlang, ein letztes Mal umsorgt von der türkischen Polizei erreichen wir die Grenze. Schon Kilometer vorher kündigt sich diese durch lange Schlangen von wartenden Lkws an. Hinter einem Tunnel dann die grenze, eine große Baustelle und das totale Chaos. Wir stellen die Räder an die Seite, es ist Mittag und Zeit für eine letzte Mahlzeit, noch einmal Käsepizza oder Köfte oder Bohnen. Dann werfen wir uns ins Gedränge, doch wir können die Pässe im Pack zum Stempeln geben und brauchen nicht in der Schlange zu warten. Dann heißt es ein letztes Mal Tschüß und Kasim winkt uns zu und wir überschreiten die magische Linie.

Auf der anderen Seite stürzt eine junge Frau auf uns zu: „Ich bin Ninu und eure Reiseleiterin für Batumi, ich habe das georgische fernsehen mitgebracht und das neue Land beginnt mit Interviews, südländischem Charm und langen Beinen, vor allem die Männerfraktion ist hin und weg. Unter den Augen der Kamera gibt es natürlich keine Probleme mit der Grenzabfertigung, das Gepäckumladen wird perfekt organisiert und wir lernen Mahmuka und Leo von Achi-Tours kennen, die uns bis nach Baku begleiten werden. Kurz darauf rollen wir auf einer kleinen Straße an der Küste entlang, wir dürfen fahren, wie wir wollen, nur der nächste Treffpunkt ist ausgemacht, die Festung Gonio, wo Jason mit seinen Argonauten auf der Suche nach dem goldenen Vlies anlandete. Das erste was wir erfahren ist, das wir zumindest kulturell wieder in Europa angelangt sind, ja sogar in der Wiege Europas, wie archäologische Ausgrabungen beweisen und das der höchste Berg Europas natürlich nicht der Mt. Blanc ist, wie in den Geographiebüchern steht, denn der Kaukasus ist wesentlich höher. An Griechenland fühlen wir uns erinnert, nicht nur weil die Sonne durchkommt und auf der kleinen Straße alles viel grüner erscheint, sondern weil wir wieder Geschichte sehr emotional dargeboten bekommen. Wie betrunken von den vielen Fakten stolpern wir durch die Ruinen von Gonio, vorbei an Orangenbäumen, während der Sowjetunion war das ganze historische Gelände zur Obstplantage umfunktioniert worden.

Dann geht es weiter in Richtung Batumi. Viele kleine Hotels nebeneinander warten auf die nächste Badesaison. Links und rechts neue Gebäude und auch Ruinen aus den Sowjetzeiten. Ein alter Truppenübungsplatz demonstriert deutlich, wo der Eiserne Vorhang früher verlief und alte sowjetische Industriebetriebe sind still gelegt worden. In Batumis Vororten Neubauten im Berlin-Marzahn Stil, bunt angemalt, als ob man die alten Zeiten übertünchen wollte. Zwischen den Wohnsilos bis zu 100 Meter lange Wäscheleinen, die über Rollen bewegt werden können und wie bunte Fähnchen wehen Wäschestücke zwischen den Häusern im abendlichen Wind. Auf den Straßen viel Verkehr, der sich um die Schlaglöcher herumdrängelt und ein Panoptikum von Fahrzeugen, viele Ladas sowjetischer Produktion zwischen chicken Mercedes Benz und auch ein dicker Hummer bläst an uns vorbei. Genauso sieht es in der Stadt aus, ein gewaltiger Kampf zwischen postsozialistischem Verfall und aufstrebender Moderne tobt hier, noch überwiegt das alte und der Verfall, aber die Zeichen stehen deutlich in Richtung Moderne. Unser Hotel liegt oben am berg, mit einer herrlichen Sicht, aber dafür bleibt wenig Zeit, denn im Restaurant sind wir vom Tourismus Competence Center eingeladen. Deren deutscher Berater Kurt Reitz empfängt uns auf das herzlichste und der Tisch biegt sich von Leckereien ungeahnten Ausmaßes, Karaffen mit Weißwein verlocken und ich ahne schon, dass Georgien nicht das geeignete Land ist, um ein oder zwei Kilo abzunehmen. In Georgien gibt es eine Tradition der Tischrede, es wird ein Tamada, Tischredner bestimmt, den nach mehr oder weniger festen Regeln Trinksprüche ausbringt zu denen das Glas gefüllt und geleert wird. So geht es dann auf Gott, die Familie, Georgien, die Frauen, den Gastgeber, die Gäste, unsere Reise, die Freundschaft und vieles Andere. Als wir dann kaum noch stehen können steigen wir in den Bus zu einer nächtlichen Stadtrundfahrt ins Zentrum Batumis, vorbei an erleuchteten Gebäuden, wieder ein Wechselspiel zwischen Tradition, Vergangenheit und Moderne. Danach geht es zurück ins Hotel und der Abend ist noch nicht zu Ende, aber ich kann auch leider nicht mehr berichten, wie er zu Ende ging. Ich weiß nur noch, dass auch noch getanzt wurde und keine der Damen in der Runde ausgelassen haben soll.

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