Samstag, 5. April 2008, Ruhetag in Tiblissi: „Attraktiver Kulturinput“


Georgien ist ohne Zweifel das Land mit den attraktivsten Reiseleiterinnen. 10 Uhr steht sie vor uns, Tamuna, Augen wie Feuer, charmantes Lächeln und ein besseres Deutsch als die meisten unserer Teilnehmer und erzählt uns mit Leidenschaft und Hingabe über das Schicksal „ihrer Stadt“ Tiblissi. Die Wurzeln reichen zurück in legendäre Zeiten, historische Funde gibt es aus vorchristlichen Zeiten, alle waren hier, die Mongolen, die Araber, die Christen, die Juden, um teilzuhaben am Reichtum der Handelsstadt an der Seidenstraße. Zahlreiche noch heute erhaltene Karawansereien erinnern an die Zeiten die Marco Polo beschreibt, Kamelkarawanen haben sich durch die engen Gassen des Städtchens gezwängt, Händler aller Nationen hier gehandelt. Es ist geraubt, geplündert und gebrandschatzt worden, aber Tiblissi ist immer wieder aufgebaut worden. Wir ziehen vorbei an orthodoxen Kirchen, werfen einen Blick auf eine Ausgrabung eines Weinkellers aus römischen Zeiten und besteigen die alte Festung. Hier haben wir ein atemberaubendes Panorama in alle Richtungen und auch auf die Bausünden der letzten Jahre und Jahrzehnte. Das noch im Bau befindliche Präsidialamt mit einer blauen Glaskuppel passt genauso wenig in die Stadt, wie ein gigantisches kommunistisches Wohnsilo. Zum Besuch von Georg Bush sind einige Fassaden renoviert worden, nur von vorne und mit viel Farbe. „Potemkinsche Dörfer“ nennt man das und so sagt Tamuna: „Der Bush soll noch mal kommen, aber eine andere Route durch die Stadt nehmen, damit noch mehr renoviert wird.“

 

Im Stadtzentrum gibt es eine kleine Fußgängerzone mit nett renovierten Häusern, aber einen Straßenzug weiter regiert schon wieder der Verfall. Vom Sitz des letzten georgischen Prinzen lässt sich nur noch erahnen, wie prachtvoll das Gebäude einmal ausgesehen hat und dahinter steht eine noch grauenvollere komplett ausgebrannte Ruine. Mittag machen wir in einem kleinen Imbisslokal, mit kleinen leckeren Vorspeisen, schweren aber köstlichen russischen Salätchen, verschiedenen warmen Fleischgerichten und verlockenden Süßspeisen. Es geht schnell, ist nicht teuer und schmeckt gut und ich frage mich zum tausendsten Male in meinem Leben, was die Leute zu Mc Donalds & Co. treibt, der auch hier gleich nebenan in einem umgebauten historischem Gebäude mit benachbartem Denkmal des Nationaldichters eine Bleibe gefunden hat. Wieso tun sich die Leute weltweit vereinheitlichten Geschmack an, wenn man nebenan wirklich richtig gut essen kann.

Danach geht es ins Museum, in die Schatzkammer für Ikonen in einem heruntergekommen Bau. Passend zum Äußeren die lokale Führung. Mit absolut emotionslosem Gesichtsausdruck, und völlig ausdrucksloser Stimme rattert die Mittfünfzigerin mit vermutlich noch sowjetischer Intourist-Ausbildung ihren Text herunter. Wenn man bei der Monotonie nicht sofort schläfrig würde, könnte man hier noch einiges Wissenswertes erfahren, so versuchen wir uns aber an der Karikatur einer Reiseführerin wenigstens noch zu amüsieren und sehnen uns nach draußen zu unserer munteren Tamuna zurück, nachdem wir den halben Weg durch die Ikonen, gemalt, emailliert und mit Gold und Steinen beladen, zurückgelegt haben.

Draußen geht es dann noch einmal den Einkaufsboulevard hinauf und hinunter und dann haben wir unser umfangreiches Programm für heute hinter uns gebracht. Den Abend verbringt dann jeder, wie er will, für mich steht noch eine kleine Besprechung auf dem Programm in einem netten kleinen Restaurant mit delikatem Essen und entsprechendem Wein dazu. Da aber wir Reiseleiter auch etwas müde sind wird es nicht mehr als ein guter Schluck zum Essen und ich freue mich auf eine ruhige Nacht und den morgigen Ruhetag, obwohl ich wohl viel arbeiten werden muss.

Eine Reaktion zu “Samstag, 5. April 2008, Ruhetag in Tiblissi: „Attraktiver Kulturinput“”

  1. Heidebreck Rainer

    Hallo Tom,
    ein Extralob für den Fleiß, mit dem ihr eure Blogs weiterführt. Ich lese nach wie vor jedes Wort und freue mich mit euch über jedes wohlschmeckende Stück Wurst.
    Bitte paßt in Zukunft etwas besser auf Helga auf und wartet ein wenig – so einen Aufenthalt im Busch möchte ja man mit Würde und unbesudelt hinter sich bringen!
    Du gibst Dir (genauso wie Richard und Hubert(?))Mühe mit Deinen Photos und es waren zum wiederholten Male äußerst gelungene Aufnahmen dabei – und damit meine ich nicht nur die von den georgischen Reiseführerinnen! Ich vermisse allerdings bisher eine detaillierte Großaufnahme einer georgischen Festtafel mit allen Schikanen…..
    Weiterhin viel Glück, gute Gesundheit, gute Stimmung und viele interessante Erlebnisse!
    Es grüßt der Radkam´rad Rainer, alias Heifisch

    P.S. Gute Gesundheit auch allen georgischen Kühen – damit die Elektrik stimmt!

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