Donnerstag, 3.April 2008, von Surami nach Gori, 60 Kilometer, 285 Höhenmeter: „Auf den Spuren des Generalissimus“


Durchs Fenster strahlt die Sonne, allerdings ist es immer noch böse kalt, knapp über Null Grad. Der gestrige Regen hat sich als Schnee auf den fernen Bergen gesammelt. Die Frau des Hauses hat es wirklich über Nacht geschafft, unsere Sachen zu waschen und sie sogar trocken zu bekommen, lediglich meine Handschuhe habe ich vergessen und die sind noch patschnass. Das Frühstück ist wieder eine Fortsetzung des Abendessens, Spiegeleier, Würstchen, selbst gemachtes Pflaumenmus, Käse und Wurst, alles im Überfluss. Nachdem Fahrräder und Gepäck bereit sind noch ein großes Abschiedsfoto und dann geht es die schlammige Dorfstraße wieder hinunter durch das Dorf. Und überall zeigt sich das gleiche Bild, eine riesige Fabrik, ehemals eine Flaschenfabrik liegt still, grün überwucherte Bahngleise, vor dem riesigen Komplex ein verfallenes Gebäude mit griechischen Säulen davor, das „Dom Kulturui“, das ehemalige Haus der Kultur, alles verlassen und verödet. Unsere beiden georgischen Führer geben auch zu, dass es zumindest wirtschaftlich ein Fehler war, sich von Russland zu trennen, denn das große Land war der Hauptabnehmer von Allem, was hier in Georgien produziert wurde, Industrieprodukte, Wein und Tee, alles ging früher Richtung Moskau, heute wird nicht mehr produziert. Und der große Aufschwung mit der Unabhängigkeit lässt immer noch auf sich warten und immer wieder wird betont, dass man sich als Georgier ja eigentlich als Europäer fühlt und nicht so sehrt als zu Asien zugehörig.

Wir fahren wieder durch eine grüne Ebene, aber nur 30 oder 50 Kilometer weg liegen majestätisch die ersten Ausläufer des Großen Kaukasus, Berggipfel mit bis zu 5000 Meter Höhe, ohne Ausnahme mit Schnee und Eis bedeckt. Am Straßenrand werden Äpfel verkauft, von den großen Plantagen zu beiden Seiten der Straße und etwas weiter ist ein Fleischstand aufgebaut, eine Schweinehälfte und zwei Schweineköpfe werben für das Produkt.

Nach einem Hügel blicken wir auf Gori, eine mittelkleine Stadt, früher gab es jede Menge Industrie, heute sehen wir neben ein paar funktionierenden Betrieben natürlich viele Ruinen. Das modernste Gebäude ist ein riesiger Kasernenkomplex, wie in allen Staaten der Welt ist eben fürs Militär immer Geld da. Heute sind wir auf zwei Familien verteil untergebracht, wir laden rasch unser Gepäck in den Zimmern ab, denn wir haben noch ein Nachmittagsprogramm.

Gori ist der Geburtsort von Stalin. Deshalb geht es dann mit dem Bus auch erst einmal die Stalinallee hinunter, bis zum Stalinplatz mit Stalinmuseum und Stalingeburtshaus. Der Monumentalbau im stalinistischen Stil beherbergt eine komplett unkritische Sammlung von Stalinfotos und Devotionalien. Unsere Führerin im Museum spricht hervorragend Deutsch und führt uns durch Stalins Jugend durch den Zweiten Weltkrieg bis zur Kopie der Totenmaske. Ulli versucht ihr ab und zu durch kluge Fragen ein paar Worte zur dunkleren Seite Stalins abzuringen, aber sie geht nicht darauf ein, nur bei der Bemerkung, dass ja Stalin doch auch ein ganz schöner Gauner gewesen sei, kann sie ein Lächeln nicht unterdrücken.

Gegenüber dem Museum steht das Geburtshaus Stalins, der aus armen Verhältnissen stammt, der Vater war Schuster und die Mutter Schneiderin und die Familie mit vier Kindern hat in dem kleinen Zimmerchen gewohnt, in das nicht einmal die Hälfte unserer Gruppe passt. Letztes Ausstellungsstück ist Stalins Eisenbahnwagon, ein rollendes Stück Panzerstahl, mit dem er durch die Welt rollte. Selbst in Potsdam war er mir diesem Wagon, da er das Fliegen nicht mochte.

Nach so viel Geschichte und Personenkult geht es dann zu einem kleinen Mittag ins Restaurant und dann gleich weiter zur Höhlenstadt Uplisziche. Vor 3000 Jahren schabten die damaligen Bewohner in mühevoller Arbeit eine ganze Stadt aus dem Sandstein, inklusive Königspalast und Sakralbauten. Archäologen haben die Funktionen der einzelnen Höhlen herausfinden können und so geht es hindurch durch Lagerräume, Weinkeller, Bäckerei; Wein wurde in einer riesigen Mosterei ausgepresst und schon damals prägte sich eine der Grundzüge der Georgischen Kultur aus. Sechs Gläser Rotwein pro Tag, drei zum Mittag und drei Zum Abend seien unverzichtbar für eine gute Gesundheit und er halte sich seit Jahren daran, sagt unser 70 jähriger Führer durch die Ruinen und Höhlen und springt behende von einem Felsblock zum anderen, um uns die nächste Höhle zu zeigen.

Die späte Nachmittagssonne liegt über dem weiten Tal des Mtkvari- Flusses, sanfte grüne Hügel und kleine Dörfer schmiegen sich in die Mäanderbiegungen und eine straffe Briese aus westlicher Richtung pfeift um die Ecken der antiken Felsbehausungen. Hoffentlich bleibt er uns erhalten, denn dann wird die morgige Fahrt nach Tiblissi ein Spaziergang.

Am Abend lernen wir wieder herzlichste Gastfreundschaft auf Georgisch kennen, hausgemachter Rotwein wird in viel zu großen Mengen in großen Karaffen auf die Tische gebracht, die sich schon unter der last von allerlei Leckereien biegen. Auf der Veranda wird der Grill mit Buchenholz angeworfen und eine große Schüssel mit Schaschlik wartet nut darauf gegrillt zu werden. Der Weg ins Bett führt wieder vorbei an Grill und Gastgeber, der mich noch einmal abfängt. Noch mehr Wein von den Reben aus dem eigenen Hof, 400 Liter produziert er im Jahr und die werden immer alle, woran ich keinen Zweifel habe. Danach bin ich müde und weinselig und rolle mich in die katastrophale Kuhle meines viel zu weichen Bettes und falle unverzüglich in Tiefschlaf.

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