Xinjiang 2007-die Aufklärungstour
Sommer 2007, 31.August, ich sitze im verspäteten Flieger von Beijing nach Ürumqi, die Hauptstadt der Provinz Xinjiang im äußersten Norwesten Chinas, wo neben den Han-Chinesen vor allem Uiguren, Kasachen und Mongolen wohnen. Nachdem der Blick aus dem Fenster nur Berge und berge und Berge und Wüste gezeigt hat, wird es ganz schnell grün und dann landen wir in Ürumqi. Ich bekomme recht schnell mein Rad und schraube es Einsatzbereit und dann geht es auf ins Zentrum der Stadt. Gute 30 Kilometer geht es durch den Feierabendverkehr und ich habe auch noch keine Ahnung, in welcher Gegend ich mir eine Herberge suchen soll. Also kaufe ich einen Stadtplan und suche dann in der Umgebung des Bahnhofes, ein Hotel ist mir zu schäbig, ein weiteres zu teuer und die nächsten beiden voll, aber dann finde ich, was ich brauche, ein Zimmer für 18 € mit Dusche, das Rad bleibt draußen im Gang.
Gleich gegenüber befindet sich eine gigantische Nacht-Essmeile, einen Kilometer ein Stand nach dem anderen, eine Leckerei nach der anderen. Grillstände mit Fleisch und Fisch, und kleine Eintöpfe aus Ton dominieren, dazwischen hüpfen Uiguren mit Körben von Melonen und frischen Früchten. Dieser Nachtmarkt hier ist einer der schönsten, den ich je gesehen habe und außer mir gibt es keine einzige Langnase mehr weit und breit.
Am nächsten Tag ziehe ich fahre ich um 9 Uhr los, die Ausfahrt aus der Stadt ist schwer zu finden, ebenso wie der Abzweig in die Berge und so verfranse ich mich gleich zweimal. Dafür treffe ich einige lokale Radler, die gerade von einer Bergtour zurückkommen und wir kommen sofort ins Gespräch übers Radeln in China.
Dann habe ich endlich die richtige Straße und wieder geht es in die trockene Steppenlandschaft, ab und zu gibt es ein uigurisches Dorf, spärliche Landwirtschaft oder einen Pappelhain. Erst gegen Mittag tauchen am Horizont die ersten Umrisse der Berge auf, dünne, blaue Linien, mit Schnee bedeckt. Ganz langsam komme ich den Bergen näher und dann geht es auch schon kräftig bergan, mein Hintern ist das radel nicht mehr gewöhnt oder den neuen Sattel und so habe ich recht schnell eine wunde Stelle am Hintern, auf der rechten Seite. Diese werde ich den fogenden zwei Wochen auch nicht mehr los und muss suzusagen auf der rechten Backe weiter fahren.
Am Nachmittag späten Nachmittag bin ich dann in den ersten Seitentälern, es gibt Nadelwälder und grüne Wiesen und die Straße steigt ordentlich an, der Asphalt wird schlechter, aber die Landschaft schöner und grandioser. Heute Morgen bin ich in Ürumqi bei 850 Höhenmetern gestartet, jetzt zeigt mein GPS schon 2000, dann komme ich in eine kleine Hochebene und dann tauchen ein paar Schornsteine auf, Kohlekraftwerk und Zementbude speien schmutzigen Dunst aus, aber Houxia ist der einzige Ort mit Übernachtungsmöglichkeit in der Umgebung. Ein Hotel gibt es nicht nur ein herunter gekommenes 招待所, eine Art Herberge, mit Klo und Wasser auf dem Gang, die Zimmer sind gerade noch erträglich, aber Gang und Toilette schauderhaft, ebenso wie der Waschsaal.
Am nächsten Morgen starte ich zeitig und verschiebe mein Frühstück, was ein böser Fehler war, denn in dem enger werdenden Tal gibt es nichts außer dem reißenden Fluss unten rechts und der Felswand links oben, dank eines Erdrutsches nicht einmal mehr LKW Verkehr, der kam an der Engstelle zum Erliegen, nur ich konnte mein Fahrrad rübertragen. Nach 30 Kilometern hört dann der Asphalt auf und das Tal öffnet sich ein wenig, endlich dann auch ein Jurtencamp mit kasachischer Versorgungsjurte und ein guter Plov ist schnell aufgewärmt und der muss dann auch für den rest des Tages reichen und der wird anstrengend. Noch kann ich nicht glaubebn, dass der Pass über 4000 Meter hoch sein soll, aber die vormir auffragende Wand aus geröll und Gletscher lehrt mich doch wieder blindes Vertrauen in die Angaben meiner Karte zu haben. Eine Geröllpiste geht es in hartem Zickzack steil nach oben, eine Sepentine nach der anderen und die Luft wird meklich dünner und kälter. Erst mache ich aller zwei kehren eine Pause, dann zeigt der Höhenmesser 3500 Meter und ich muss in jeder Kurve rasten, bei 4000 dann Jubelpause und Foto und bis oben ist es nicht mehr weit, dafür links hinter dem Gletscher ein kleiner Gipfel, an dem sich eine gewitterwolke festgehakt hat und dumpf vor sich her grummelt und Blitze in die karge Landschaft sendet. Hoffentlich bleibt sie da hängen, denke ich und strampele die nächsten 280 Meter nach oben, dann endlich der Pass und ich oben, die luft dünn und die Gedanken etwas wirr, wie betrunken, 3500 Höhenmeter in zwei Tagen ohne Höhentraining sind nicht ganz ungefährlich, also nix wie runter vom Berg, solange ich noch weiß, wo vorne und hinten ist.
Langsam wird die Luft wieder dicker, schnell geht es nicht nach unten, denn die Piste ist bei leisem Nieselregen glitschig und die Finger sind eiskalt. Grandios ist die Landschaft, auf der Nordseite war es nackt und kahl und hier rolle ich in ein weites grünes Hochtal mit Pferdeherden. Dann reißen die Wolken ein wenig auf und tauen alles in ein abendliches warmes Licht. Auf 2800 Metern dann Ulastay, das nur eine Jurtensiedlung ist, aber man kann auch übernachten. Ich bin todmüde, mein Hintern tut weh und ich habe 2700 Höhenmeter auf der linken Backe abgesessen, aber ich brauche nur meinen Schlafsack ausrollen, eine Portion Plov und Fladenbrot bekomme ich von der Gastfamilie des Jurtencamps, mit denen ich dann auch das Zelt teile.
Am nächsten Morgen ist wunderbares Wetter, satt grün leuchtet die Landschaft, die Gipfel der Berge sind von frischem Schnee bedeckt. Dort wo die Straße die Bahnlinie kreuzt macht es Plöng und mein Gepäckträger fällt zu Boden, beide Schrauben weg, meine Ersatzschrauben zu kurz und die nächste Werkstatt-100 Kilometer oder Nein! 100 Meter gibt es die einzige Werkstatt im Umkreis von 50 Kilometern, der Besitzer schläft noch einen Rausch aus, aber der Lehrling/Sohn/Gehilfe lässt mich in einer großen Kiste passende Schrauben suchen, die sind zwar zu lang, aber da helfen ein paar Muttern.
Unten im Tal, am nächsten Abzweig werden alle meine Befürchtungen wahr, ab hier beginnt die Baustelle und die ist 300 Kilometer lang, na dann Gute Nacht! Am Anfang lässt frischer Asphalt noch Hoffnungen keimen, aber dann wird es sehr holprig und auch noch schlammig, es regnet ab und zu in Strömen, geht wieder gut bergauf, Hintern und Rücken tun weh und die Orte in der Karte gibt es nicht.
In den nächsten Jurten vor und hinter dem Pass will man mich nicht aufnehmen, im Bauarbeiter Camp auch nicht, aber dann kommt ein einziger Laden in der Wildnis und dort gibt es sogar noch ein freies Bett im Verkaufsraum.
Die nächsten Tage habe ich Glück, die neue Piste ist schon errichtet, aber noch nicht asphaltiert, sondern nur festgerollt, ich darf hier oben entlang und es geht mal mehr oder weniger gut voran, zumindest für mich. Auf der Piste neben der Straße wühlen sich die Trucks durch die Schlammpiste, bis zur nächsten Senke, da stecken dann alle fest. Die etwas klügeren stehen alle in Chagan Nur, dem nächsten Ort,auf jeder Seite mehr als dreißig Fahrzeuge, in einem wirklich abgefuckten dreckigen Dorf, das nur aus drei verschlampten Truckstops besteht. Drei Betten sind noch frei im stinkenden Schlafsaal, ich suche das einzige, wo es bei dem Regen nicht von oben durchtropft und versuche mit ein paar Pappen die fehlenden Sprungfedern auszugleichen.
Das Essen ist noch schlimmer, heiße Fettbrühe mit fettigen Lammrippchen, dazu altbackenes Brot. Letzteres quäle ich mir rein, mit der Brühe, den fetten Hammel verschenke ich an die verlauste Töle mit den gierigen Augen unterm Tisch. Ein guter Tag für den Hund und ein schlechter für mich. Ich verzieh mich gegen 8 Uhr in mein feuchtes Bett, jeder der nach mir kommt macht noch Rabatz und Krach und alle außer mir Schnarchen. Früh halb sechs stehe ich als erster auf und mache Krach, schön laut bemühe ich mich zu sein.
Dafür ist es dann draußen wunderbar, klare Sicht übers grüne Hochplateau, die Straße oder besser Piste eine Gerade in die Unendlichkeit, im Grün unzählige weiße Pünktchen, große Schafherden und dann geben die Wolken die schneebedeckten Bergketten rechts neben mir frei und ich fühle mich zum ersten Male richtig gut auf der Tour.Hinter dem nächsten Pass liegt dann ein wunderschönes bewaldetes Tal und ein richtiges Urlaubsdorf, jedenfalls war es das einmal, denn außer mir gibt es keine Touristen, aber mindestens vier Hotels. Ich mache es mir in der Abendsonne gemütlich, genieße meine Nudeln und frisches Fladenbrot von den uigurischen Bäckern am Markt, die hier direkt im Steinofen an der Straße backen. Ein grandioser Fahrradtag war heute und ich liebe mein leben auf dem Fahrrad.
Am nächsten Morgen bekomme ich die Augen nicht mehr auf, totaler Sonnebrand., das Gesicht ist geschwollen und knallrot. Nur mit einem nassen Handtuch bekomme ich die Augen dann auf Schlitzbreite dauerhaft auf und mit Sonnenbrille traue ich mich nach draußen. Jetzt habe ich also eine Schwiele am hintern, der Rücken schmerzt und ich habe ein verschwollenes Gesicht, wahrscheinlich brauche ich ma Ende der tour einen Rollstuhl.Noch ungefähr 50 Kilometer ist die Straße eine Katastrophe, dann eine Linie und der Asphalt hat mich zurück und so blase ich dann auch gleich noch einmal 130 Kilometer und am übernächsten Tag bis Jining. Es geht anfangs noch durchs Grasland, später wird es dann fast schon wieder zur Wüste, aber es gibt wenigstens eine Versorgungsstruktur, Grillstände in den Städten und große Fässer mit erfrischendem Kwas am Straßenrand, wenigstens ab und zu.
In Qingshuihe mache ich einen Abstecher zuir kasachischen Grenze, hier werden wir im nächsten Jahr nach China von Athen kommend einrollen und nun beginnt meine Aufklärungsarbeit für die große Tour. Während ich die Südroute um den Altai gefahren bin, machen wir im nächsten Jahr die Nordroute und auch hier wartet schon wieder eine Baustelle in die Berge hinauf. Aber noch ist die Straße gut zu fahren und oben liegt der Sailimu-See, eine stahlblaue Platte in grüner Graslandschaft, umrandet von schneebedeckten Bergen. Am Ufer des See weiden Pferde und und überall sind weiße runde Jurten verstreut. Am Himmel ziehen weiße Federwolken schnell dahin und ein leises Lüftchen bewegt sich. In einem der restaurant-Jurten ordere ich eine große Portion Plov für mich und gehe ein wenig spazieren, eine richtige Gegend für einen Urlaub und es gibt keine Touristen hier. Nur an der Straße stoppt ab und zu ein Bus und entlädt eine Ladung Menschen mit Fotoapparaten für eine kurze Weile. Zum anderen Ufer wird es karger, es gibt noch einen Ort am See, aber der ist, ebenso wie das meise Hotel aus den 70ern nicht sehr einladend, also fahre ich weiter, doch hinter dem kleinen Pass beginnt dann die Autobahn.
Etwas abseits von der Autobahn gibt es ein schönes modernes Gebäude, welches ich anszeuere, es ist die verwaltung des nationalparkes und ich bin eingeladen zu bleiben, im Gästezimmer, warum auch nicht. Abends kommen die Leute von den Außenposten zurück, es wird gekocht, im Hof spielen wir Federball und im Klubraum verliere ich gegen alle Anwesenden im Tischtennis. Am nächsten Tag habe ich die Autobahn vor mir, 60 Kilometer neu gebaute Straße, meine Spur schon fertig, aber noch nicht eröffnet, es geht 1500 Höhenmeter runter und ich habe Rückenwind, die dunkelste Sonnenbrille festgezurrt geht es nun in rasender Fahrt abwärts, nach nur wenig mehr als einer Stunde ist die Mautstation im Tal erreicht, was für eine Abfahrt durch eine ganz andere Landschaft. Hier ist kaum noch etwas Grün, überall trockene Steppe und die einzigen bewohner sind ein paar Kamele, die mich genauso blöde beglotzen, wie ich sie. So bleibt die Landschasft dann auch fast bis Urumqi, drei Tage geht es auf der Autobahn entlang, eine Alternative dazu gibt es nicht. Die Landschaft ist flach, nur rechts blitzen die eisbedeckten Gipfel dieses Tienshan-Ausläufers manchmal, links liegt eine öde Trockensteppe. Manchmal schießen in einem Kanal eisige Wasserfluten unter der Autobahn hindurch und führen in eine Oase oder in einen kleinen Ort.
Das Essen der Uiguren ist einfach und gut, es gibt leckeres frisches Brot, Plovs und Nudeln in allen Variationen und schön scharf, dazwischen heißt es ordentlich Kilometer fressen, aber ich habe Glück und keinen nenneswerten Gegenwind und somit wird das Autobahnfahren nicht zu öde. Abwechslung bieten nur die Städte und so geht es vier Tage durch die Steppe, erst dann beginnt es wieder etwas grüner zu werden, es gibt Pappelhaine und felder und irgendwann zeichnet sich ein weiteres gewaltiges gebirga am horizont ab, der Bogda Fen, ein weiterer Ausläufer des Tienshan und davor liegt Ürumqi. Hier halte ich mich nur eine Nacht auf und verschiebe meinen Ruhetag auf den Himmelssee, der liegt einen tagesritt weiter, am Rande des gewaltigen Massives, das ich nun schon seit fast zwei tagen vor mir habe, fast 6000 Meter ragt der höchste gipfel hinauf, ich muss aber nur gut e 1000 Höhenmeter nach oben. Eine schmale Straße schlängelt sich durch ein grünes Tal, überall gibt es kasachische Jurten und Pferde, dann erreiche ich die talstation der Seilbahn und nehme den letzten Anstieg zum See. Da es schon wieder später Nachmittag ist, sind die Touristen alle schon wieder am abreisen, ich spaziere ein wenig am Ufer entlang und gönne mir einen überteuerten Touristen-Plov. Weiter hinten gibt es ein Jurtensiedlung und ich bekomme eine ganze Jurte für mich alleine zum Übernachten. Draußen liegt ein Wasserschlauch und das ist meine Dusche.
Am nächsten Tag mache ich einen langen Spaziergang, weiter hinten wird es noch schöner, es gibt nur noch kleine Pfade und kaum ein Tourist verirrt sich noch hierher. Ich sitze einfach am Seeufer und gehe zwei oder drei Mal baden, obwohl das nicht erlaubt ist, aber es ist ja außer mir keiner hier. Abends beuge ich mich noch einmal über meine Karten und freue mich auf ein Stück Strecke, dass ich vor 15 Jahren schon einmal gefahren bin und welches mir damals sehr gefallen hat und freue mich auf die nächsten Tage.
Inzwischen habe ich mich komplett wieder ans Radeln gewöhnt, der Hintern und der Rücken schmerzen nicht mehr, der Sonnenbrand ist wieder weg und ich schaffe ohne Probleme auch sehr lange Tagesetappen von 150 Kilometern, ohne am nächsten tag komplett geschafft zu sein.
Schöner wird es dann nördlich des Tienshan, wieder Hochebenen mit Schafen und Kamelen, tadschikischen Jurten, Steinwüsten und netten Menschen.
Nach Hami muss ich wieder durch die Wüste, keine schöne Wüste, nur grauer Dreck, sonst nichts. Die ‚schöne’ Wüste gibt es nur bei Dunhuang, mit wunderschönen Sanddünen und Eintrittskarten. Und mitten in der Wüste beginnt dann auch die Große Mauer, außer in Jiayuguan, wo sie großartig wieder hergerichtet wurde, nur ein elendes Häufchen Lehm, wenn überhaupt noch etwas davon übrig ist.
In Zhangye biege ich ab ich brauche wieder Berge und Pässe und genau das alles bekomme ich auf dem Weg nach Xining in Qinghai Provinz. Hier wohnen schon viele Tibeter, nun nicht mehr in runden Jurten, sondern in eckigen Zelten und es gibt weniger Kühe und mehr Yaks, deren Fleisch sich bis zu drei Tagen zwischen den Zähnen festsetzen kann.Meditative Ruhe finde ich nicht im Ta-er Kloster, da es dort nur so von tausenden Touristen wimmelt, dafür entdecke ich wunderschöne unrenovierte Wandmalereien und Fresken aus der Tang Dynastie in einem kleinen Kloster etwas abseits der Touristenrouten: Qutansi.
Den letzten Tag auf Lanzhou zu, geht es dann am Gelben Fluss entlang, aufstrebende chinesische Industrie und viel Verkehr, aber das ist ok nach 3500 km und 33 Tagen.